Wiener Festwochen: Milo Rau übernimmt künstlerische Leitung
Der Schweizer Theatermacher und derzeitiger Leiter des NTGent soll die künstlerische Leitung des Festivals ab Juli übernehmen, der Vertrag ist auf fünf Jahre anberaumt. Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) hat die Entscheidung heute im Wiener Rathaus bekanntgegeben. Sie bezeichnete Rau als einen "der wichtigsten, herausragendsten Regisseure der jungen Generation", der zudem festivalerfahren sei.
Sechs Kandidaten (alle international, eine weiblich, ein Duo) waren zuvor von einer Findungskommission, der u.a. Ex-Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann, der Berliner Festspiele-Intendant Matthias Pees und Susanne Moser von der Komischen Oper Berlin angekörten, zu Hearings eingeladen worden. "Ich war begeistert von der Qualität dieser Einreichungen, am Ende gab es einen ungereihten Zweiervorschlag", sagte Kaup-Hasler. Sie habe sich u.a. deshalb für Rau entschieden, weil er große Theaterleidenschaft verkörpere, ein großes Sensorium für aktuelle Strömungen und Debatten habe und international bestens vernetzt sei.
Es gebe keine konkreten Zielvereinbarungen, sagte die Stadträtin auf Nachfrage. In jedem Fall wolle man wieder mehr Publikum. "Dass wir eine Steigerung wollen, ist klar. Es geht um das Erreichen einer breiten Öffentlichkeit, eine Gegenstrategie gegen Long-Covid in diesem Bereich." Die Festwochen hätten allerdings das Problem, dass das Theater an der Wien derzeit renoviert wird und nicht als Spielstätte zur Verfügung steht.
Auch in Brüssel, Gent oder Paris habe Covid einen krassen Einbruch der Publikumszahlen gebracht, wobei auch dort - ähnlich wie in Wien - der Musiktheaterbereich sich am schnellsten wieder erholt habe, berichtete Rau. "Ich mach' ja viele Opern - seltsamerweise". Mit Wien, wo er bereits einige Produktionen gezeigt hat, habe er sich in den vergangenen eineinhalb Monaten intensiv beschäftigt, nachdem er telefonisch zu einer Bewerbung eingeladen worden sei. Analog zu seinem Genter Manifest, in dem er Visionen seiner Theaterarbeit formuliert hat (darunter Bekenntnisse zu Mehrsprachigkeit, zur Zusammenarbeit mit Nicht-Profis und zum Verlassen der Theaterblase) wolle er ein Wiener Manifest als eigene Zielvorstellung für seine Arbeit in dieser Stadt erarbeiten: "Das werden 10.000 Debatten sein, wird aber auch sehr, sehr konkret sein." Es solle fassbar machen, was funktioniert habe und was nicht. Er habe "Bereitschaft zum Skandal und Austausch", sagte Rau und kündigte an: "Es muss Unverwechselbarkeit stattfinden."
Rau wurde am 25. Jänner 1977 in Bern geboren. Er studierte Soziologie, Germanistik und Romanistik in Paris, Zürich und Berlin. Seit 2002 entstanden über 50 Theaterproduktionen, Filme, Bücher und Aktionen. Seit der Saison 2018/19 ist er Intendant des NTGent. Gleichzeitig mit der Intendanz der Wiener Festwochen sei das jedoch nicht möglich. Er werde daher die Saison in Gent beenden, dann mit Juli aussteigen, aber Gent noch einige Zeit verbunden bleiben, sagte Rau bei der Pressekonferenz. "Mein Schwerpunkt wird 100 Prozent Wien sein, aber ich habe natürlich viele Dinge die ich inszenieren werde, aber der Zufall will es, dass fast alles ohnedies Koproduktionen der Wiener Festwochen sind", so Rau - etwa eine am Amazonas spielende "Antigone" als Koproduktion mit dem Burgtheater, in der die indigene Aktivistin Kay Sara mitspiele, die 2020 die virtuelle Eröffnungsrede der Festwochen gehalten hat: "Ich will ein großes mythisches Theaterfest machen." Als weitere Namen für künftige Zusammenarbeiten nannte er etwa Kirill Serebrennikow oder Elfriede Jelinek. Russland, Brasilien, Frankreich, aber auch der deutschsprachige Raum seien für ihn wichtig, gleichzeitig wolle er das Festival natürlich "in der Stadt verorten". In den vergangenen Tagen habe er in Wien seinen 46. Geburtstag gefeiert und mehrere Bücher und eine Sachertorte geschenkt bekommen - "insofern ist es ausgewogen".
Intendant Christophe Slagmuylder hatte im Vorjahr entschieden, seinen Vertrag vorzeitig zu beenden und schon nach der heurigen Festivalausgabe an das Kulturzentrum Bozar in seiner Heimatstadt Brüssel zu wechseln. Einige seiner Pläne für 2024 könne und wolle er übernehmen, sagte Rau: "Christoph ist ein wunderbarer Kurator und hat schon einige tolle Produktionen geplant. Ich dachte: Wow, woher wusste er, was ich einladen würde? Das ist etwas, was mich beruhigt. Aber es bleiben große Baustellen."