Neue Schau im Wiener Narrenturm blickt auf Krankheit und Tod
Die neu konzipierte Schau im Erdgeschoß des markant-runden Gebäudes erlaube nun einen zeitgemäßen Blick auf Krankheit und Tod. So will man das erneuerte Haus auch als Ort für in der Gesellschaft oft beiseitegeschobene Diskussionen positionieren.
Seit 2012 gehört der Narrenturm zum Naturhistorischen Museum (NHM) Wien. Damals erfolgte auch der Startschuss für die aufwendigen Renovierungsarbeiten. Zuletzt verzögerten auch noch die Lockdowns den Start in die neue Ära für das 1784 eröffnete Gebäude, das einst die "k. k. Irrenanstalt zu Wien beherbergte". Über den landläufigen Namen - Narrenturm - "stolpert man heute", sagte NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland am Dienstag. Trotzdem war die von Kaiser Joseph II. (1741-1790) initiierte Einrichtung damals ein "großer Fortschritt in Geschichte der Psychiatrie".
Narrenturm mit berühmter Schausammlung
Das durchaus "merkwürdige Gebäude" beherberge eine weltweit einzigartige wissenschaftliche Sammlung, die rund 14.000 Objekte umfasst. Deren Inhalt ist bekanntlich nichts für schwache Nerven, zeigt sie doch explizit die Auswirkungen von Erkrankungen in ihren mannigfaltigen Ausprägungen. Hier sehe man Krankheiten in Erscheinungsbildern, die man durch die Segnungen der modernen Medizin vielfach so nicht mehr sehe und folglich auch nicht analysieren könne, so Vohland.
Das hat auch zur Folge, dass sich die neue, in einem Rundgang im Erdgeschoß untergebrachte Ausstellung nicht unbedingt für einen netten Museumsbesuch mit kleinen Kindern eignet.
Kein "Leichenschauen", sondern Wissenschaft
Im Gegensatz zu früher, wo sich die Schausammlung vor allem an Ärzte oder Medizinstudenten richtete, habe man nun aber vor allem darauf geachtet, die ethische Frage der Darstellungsform menschlicher Überreste ins 21. Jahrhundert zu holen, erklärte der Kustos der Sammlung, Eduard Winter. Das Ergebnis sei nun der "Versuch, das zeitgemäß zu machen", den wissenschaftlichen Charakter zu bewahren und "nicht in Voyeurismus zu verfallen". Er wünsche sich, dass man nicht zum Gruseln und Ekeln kommt, sondern den Kontext sieht, so Winter.
Es gehe um wissenschaftliche Reflexion und nicht ums "Leichenschauen". Die in den Exponaten exemplarisch illustrierten Krankheiten werden daher ausführlich erklärt. Es gehe um die Erkrankung und Behandlung, nicht aber um den speziellen Menschen, der sie hatte.
Pathologie und Geschichte
Derartige Sammlungen wurden zwar länger eher wie ein "Stiefkind" behandelt, erfahren aktuell aber eine Aufwertung, so Winter. Vielfach werden nun alte Präparate mit modernen Forschungsmethoden untersucht. Nicht zuletzt sei aus einer alten Probe erst kürzlich das Erbgut der vor mehr als 100 Jahren grassierenden "Spanischen Grippe" erneut entschlüsselt worden, betonte Winter.
Insgesamt habe man den Rundgang "bewusst klinisch gestaltet", so der Wissenschafter. In den ersten fünf Räumen widmet man sich der Geschichte der Sammlung und der Pathologie, in den folgenden sechs einstigen "Zellen" stehen Themen der allgemeinen Pathologie im Mittelpunkt. Dann folgen sieben Räume die einzelne Organsysteme im Fokus haben. Das Rondo beschließt eine Darstellung der Geschichte des Gebäudes selbst. Einen Blick ins Innere des eigenen Körpers kann man in der in Zusammenarbeit mit Fachärzten konzipierten Schau auch an einer Augmented Reality-Station werfen.
"Mir gefällt die Darstellung, dass man von den Krankheiten ausgeht. Dadurch wird das einer größeren Öffentlichkeit zugänglich", sagte Vohland. Letztlich lasse sich auch nachvollziehen, wie sich der Mensch und seine Sicht auf den Körper und seine Endlichkeit über die Zeit hinweg verändert. "Wir verdrängen Tod ja schon sehr stark aus unserem normalen Leben", die Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit in der Schausammlung sei ein "Angebot" an die Gesellschaft, so die NHM-Generaldirektorin. Dass es sich um eine Forschungssammlung handelt, sollte dem Besucher bewusst sein. Auf Inszenierung habe man explizit verzichtet, betonte auch die Direktorin der Anthropologischen Abteilung des NHM, Karin Wiltschke-Schrotta.
"Behutsame Renovierung" in Wien
Vom Bund kamen für die Bauarbeiten etwas mehr als sieben Millionen Euro, wie der Leiter der Sektion Kunst und Kultur im Kulturministerium, Jürgen Meindl, erklärte.
Die "behutsame Renovierung" habe die Ausstellung letztlich "erheblich attraktiviert". Gewissermaßen attraktiv war das im Stil des revolutionären Klassizismus gehaltene Gebäude für die Wiener immer in irgendeiner Form, sagte der für die Neugestaltung mitverantwortliche Architekt Thomas Kratschmer. Belegt sind Episoden, in denen Schaulustige die Fassade zum "Narrenschauen" erklommen haben. In Reaktion darauf wurden die Fugen geschlossen, die dies ermöglichten. Das war auch im Sinne des Kaisers, der die Einrichtung "ausdrücklich als Krankenhaus" und nicht etwa als Verwahrungsort für Belustigungsobjekte verstanden werden wollte.
Mehr Informationen zum Wiener Narrenturm und zur Besichtigung gibt es hier.