Kabarett Österreich

"Frauen waren oft nur optischer Aufputz"

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Die Österreicher:innen lieben ihr Kabarett, das ist allgemein bekannt. Aber wann kam die "Kleinkunst" hierzulande überhaupt auf, und was macht die Faszination des humorvollen Bühnenspiels aus? Die Grazer Kulturwissenschaftlerin Iris Fink, Mitbegründerin des Österreichischen Kabarettarchivs, beschäftigt sich seit rund 20 Jahren mit der Geschichte des Kabaretts. Ihre Forschungsarbeit hat sie unter anderem in Büchern dokumentiert, wie in der mit Hans Veigl konzipierten Reihe „Kulturgeschichte des Kabaretts“, deren erster Band „Lachen im Keller“ sich mit den Jahren 1900 bis 1945 (Autor: Veigl) beschäftigt, sowie Band Zwei „Lachen hat seine Zeit" (1945 bis 1970, Fink & Veigl). Im dritten Band "...und das Lachen höret nimmer auf" setzt sie sich mit der Entwicklung des Kabaretts von 1970 bis 2000 auseinander.

Auch ein vierter Band, der sich mit den letzten 20 Jahre befassen soll, ist bereits geplant. Davor haben wir uns mit Iris Fink über die geschichtliche Entwicklung des österreichischen Kabaretts, seinen Boom in den 90ern und den Sprung der Frauen auf die Kleinkunstbühnen unterhalten.

Sie haben sich in Ihren Büchern intensiv mit der der Kabarettgeschichte bis zum Jahr 2000 auseinandergesetzt. Was fasziniert Sie so daran?

Mich fasziniert die Vielfalt, die vielen Entwicklungen und Veränderungen. Kabarett ist vor allem eine sehr verdichtete, zeithistorische Quelle.

Inwiefern?

Von den Themen her, die in den Programmen behandelt und angesprochen werden, aber auch von seiner ganzen Form her ist das Kabarett ein zeithistorischer Ausdruck. Von Nummernkabarett über musikalisches Kabarett bis hin zum politischen Kabarett – oder, was vor allem in der letzten Zeit zu sehen ist, zum Unterhaltungskabarett.

Warum gab es so eine starke Entwicklung hin zum Unterhaltungskabarett?

Das ist gesellschaftlich bedingt und wohl den multiplen Krisen in allen möglichen Bereichen geschuldet. Die Leute wollen einfach unterhalten werden und sich nicht auch noch am Abend in einer Vorstellung mit Problemen auseinandersetzen.

Ein geschichtlicher Rückblick: Der Simpl (Kabarett Simpl, Anm.) war die erste wieder eröffnete Kabarett-Bühne nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der Simpl hat eine sehr interessante Geschichte, weil er auch nach der allgemeinen Theatersperre 1944 weiterspielen durfte, da er als Luftschutzkeller ausgewiesen war. Man muss sich das mal vorstellen: Dort wurde bis April 1945 gespielt! Und im Mai 1945 ist er wiedereröffnet worden, natürlich unter anderer Leitung.

Noch im Frühsommer 1945 hat es generell viele Neu- und Wiedergründungen gegeben.

Wie stand es um den Hunger nach Unterhaltung in Österreich zu dieser Zeit?

Der war natürlich sehr groß. Man wollte sich in der Zerstörung und dem Elend nach dem Krieg einfach unterhalten. Es hat ja in der unmittelbaren Nachkriegszeit nichts zu kaufen gegeben, keine Lebensmittel, kein Material zum Wiederaufbau, keine Kohle bzw. Energie zum Heizen. Also haben sich die Menschen nach Möglichkeit in die Unterhaltung zurückgezogen. Manche Kabaretts haben sogar in Annoncen damit geworben, dass sie beheizt sind! Es war damals nämlich üblich, dass in den meisten Unterhaltungshäusern nicht geheizt wurde, das Publikum saß dort meist in dicken Mänteln.

Kabarett-Forscherin Iris Fink.

Nach einer eher ruhigen Phase in den 60ern brachten die 70er eine Art Renaissance, eine zweite Generation der Kabarettisten kam auf die Bühne: Lukas Resetarits, Erwin Steinhauer, die EAV... Mit welchen Themen haben sich die Bühnenprogramme zu dieser Zeit beschäftigt?

Es waren vor allem politische Themen. Die Abstimmung über Zwentendorf, viele Umweltthemen wie Antibiotika in Fleisch, saurer Regen, … also Dinge, die uns jetzt mehr oder weniger wieder oder noch immer beschäftigen. Die Gesellschaft hat sich damals in Richtung einer Zivilgesellschaft entwickelt, es gab große politische Bewegungen: Rund um Zwentendorf, später die Besetzung der Hainburger Au, die Friedensbewegung, …

Mit welchen Schwierigkeiten sahen sich die Künstler zu der Zeit konfrontiert?

Es hat damals keine eigenen Bühnenhäuser für Kabarett gegeben. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen! Bis in die 60er gab es de facto nur feste Bühnen für Ensemble-Kabaretts, und das auch nur in Wien. Erst in den 80er-Jahren begab sich das Kabarett in die anderen Bundesländer, wodurch in den einzelnen Landeshauptstädten langsam eigene Szenen entstanden.

Nun kam um 1974 herum eine junge Generation neuer Kabarettisten auf, etwa Erwin Steinhauer und das Ensemble "Keif". Doch die hatten keine Möglichkeit, öffentlich zu spielen. Es gab zwar vereinzelte Begegnungsstätten oder Jugendzentren, aber nichts im Vergleich zu den ganzen freien Theatern heute. Das Nichtvorhandensein von Spielstätten war also eines der Hauptprobleme. Daraus resultierte auch die Arena-Besetzung 1976. In den Jahren danach kam schließlich Bewegung auf und 1980 eröffnete mit der Kulisse die erste eigene Kabarett-Spielstätte.

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Ab wann wurde aus dem „Kabarettisten“ wirklich ein Beruf?

In den späten 80ern. Ab da kam es auch zu einer großen Zeit der Veränderung im Kabarett.

Sprich die 90er, die ja einen beispiellosen Boom des Kabaretts in Österreich brachten.

Der Kabarett-Boom machte sich nicht nur an den Programmen fest, sondern auch an den ökonomischen Bedingungen. Ab Ende der 80er gab es die ersten Managements und Agenturen, die die Vermarktung der Kabarettisten und Kabarettistinnen übernommen und auch Tourneen und neue Bühnen erschlossen haben.

Der so genannte „Kabarettfilm“ hat das Ganze nochmals befeuert, ebenso kamen die ersten CDs und Videos auf den Markt. Dadurch wurde die Kleinkunst noch zugänglicher für die Leute. 

Was war neu bzw. besonders an den Programmen in dieser Zeit?

In den 90ern gab es zehn bis fünfzehn Top-Kabarettisten, die die Hallen wirklich gefüllt haben. Da steckte auch viel Werbung und Agenturarbeit dahinter. Natürlich gab es noch zahlreiche weitere Künstler und Künstlerinnen, die auch Kabarett gemacht haben. Da lag der Unterschied nicht unbedingt in der Qualität ihrer Programme, aber sie hatten schlichtweg zu wenig Werbung.

In den 90ern gab es dann auch die Schwierigkeit für kleine Veranstalter, dass die großen Häuser als Platzhirsche viel aufgeschnupft haben. Man ist eben zu denen gegangen, die man schon gekannt hat, anders als noch in den 70ern oder 80ern, wo das Publikum einfach neugierig war und sich neue Programme mal angeschaut hat, um zusammenzusitzen und darüber zu reden. In den 90ern war das schon anders, da ist man eben zu den Stars gegangen.

Teilweise auch ein Problem der heutigen Zeit?

Zum Teil vielleicht, wobei ich mich mit den Entwicklungen der letzten 20 Jahre noch näher beschäftigen werde. Aber gerade durch das Internet sind ja wieder neue Zugänge und Möglichkeiten entstanden.

Ab wann standen Frauen mit eigenen Programmen auf den Kabarettbühnen? Und worin unterschieden sich ihre Programme zu jenen der männlichen Kollegen?

Ab den 80er-Jahren traten Frauen mit eigenständigen Programmen auf. Es hieß damals auch „feministisches Kabarett“, da sie darin eben frauenpolitische Themen behandelten. Die Hochphase dieser Form endete aber Mitte der 90er. Das hatte auch wieder gesellschaftliche Gründe, weil die Probleme einfach andere wurden.

In Österreich ist es zudem einmalig, dass Frauen bis in die 80er-Jahre überhaupt nicht als Kabarett-Autorinnen oder - regisseurinnen tätig waren bzw. sein durften.

Warum?

Das Kabarett war männlich besetzt. Die Männer waren die Autoren und Musiker, Frauen durften lediglich als eigens engagierte Kabarett-Schauspielerinnen interpretieren und darstellen. Nicht selten waren sie einfach nur „optischer Aufputz“ für die Herren-Riege. Sie konnten ihre Ideen nicht einbringen, weil sie schlichtweg keine Beachtung erfahren haben.

Das war in Österreich einmalig. In Deutschland gibt es nämlich schon seit 1945 bzw. der Zwischenkriegszeit Frauen, die im Kabarett als Autorinnen, Regisseurinnen und auch Leiterinnen tätig waren. Dort hatten sie nicht nur Mitspracherecht, sondern waren bereits lange Zeit gleichgestellt.

Ist heute der „Zenit des Kabarett-Booms“ bereits überschritten?

Das glaube ich nicht. Natürlich gab es einen Zenit in den 90ern, aber dieser hat sich wieder aufgebaut. Wenn man sich so umschaut, gibt es immer mehr neue Namen und neue Formen im Kabarett.

Sie gehen in Ihrem Buch „… und das Lachen höret nimmer auf“ auf viele einzelne Bühnen ein. Gibt es ein Haus bzw. eine Bühne in Wien oder in Ihrer Heimat Graz, die Sie besonders ins Herz geschlossen haben?

Die Kleinkunstbühne im Grazer Theatercafé natürlich, weil ich dort in den 90ern als Leiterin beschäftigt war. In den meisten Bundesländern gibt es ja keine ausschließlichen Kabarettbühnen, sondern mehr Spartenhäuser, die aber immer wieder Kabarett am Spielplan haben und auch Schwerpunkte setzen, etwa das Kleine Theater in Salzburg, das mit „Die Kabarett“ ein Frauenfestival veranstaltet hat.

Mir ist eigentlich jede Bühne recht, die Kabarett zeigt! (lacht) Hauptsache live, das ist mir einfach lieber. Die Interaktion mit dem Publikum ist ein unabdingbares Element dieser Kunstform. Im Fernsehen und Internet kann ich weniger damit anfangen.

Aktuelle Kabarett-Termine für ganz Österreich gibt es hier im Überblick.

Amina Beganovic

Seit 2024 beim KURIER-Newsdesk, davor Redaktionsleiterin von events.at. Befasst sich neben dem aktuellen Tagesgeschehen auch gerne mit Themen aus den Bereichen Gesellschaftspolitik, Kultur und Veranstaltungen.

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