Kabarett Wien

Marco Gianni live in Wien: TikTok ist nicht gleich Live-Bühne

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Marco Gianni hat über 1,2 Millionen FollowerInnen auf TikTok und 280.000 Fans auf Instagram. Der 25-Jährige fällt vor allem durch seine Videos auf, in denen er (vor allem weibliche) InfluencerInnen durch den Kakao zieht. Gianni zeigt regelmäßig, wie er auf sämtliche Stories der Internetpersönlichkeiten reagiert und sorgt damit für unzählige Likes und Kommentare im Netz.

Am 30. August kam der TikToker nun mit seinem Comedy-Programm "Akkurat" nach Wien ins Globe. Es war die Anfangsstation seiner ersten großen Comedy-Tour, bei der er sich als Bühnen-Comedian versucht. Mit meinen zwei FreundInnen M. und N. im Gepäck machte ich mich auf zur Show, um den Online-Star erstmals offline und auf einer großen Bühne zu erleben.

Nichts erwartet und trotzdem enttäuscht

Der Auftritt begann mit einer musikalischen Einlage eines vermeintlichen Freundes (?) des TikTok-Stars. Der Mann spielte auf seiner Gitarre einen spanischen Song und wurde anschließend von einem anderen Crewmitglied von Marco Giannis Team von der Bühne gezogen. Ich sah meine FreundInnen verwirrt an: "Gehört das zur Show?", fragte ich. Beide zuckten mit den Achseln.

M. und N. ermahnten mich, dass wir keine zu strengen KritikerInnen sein sollen, immerhin wäre es Giannis erster Tour-Auftritt  und ich nahm mir diesen Hinweis zu Herzen. Doch obwohl wir alle drei nicht allzu viel erwartet hatten, wurden wir maßlos enttäuscht.

Aus der Welt der InfluencerInnen

Marco Gianni sprach bei seinem Auftritt über sein Privatleben und wollte, dass das Publikum das Handy für diesen Abend weglegte und seine Kunst "live" erleben konnte. Das Problem dabei war, dass sich sein Programm vor allem durch fragwürdige Witze und peinliche Playback-Einlagen auszeichnete. "Live" waren in diesem Fall nur die Blicke, die ich meinen FreundInnen während der Show regelmäßig zuwarf und die vor allem "Was zur Hölle war das gerade" signalisieren sollten.

Gianni macht sich gerne über InfluencerInnen lustig – und das, obwohl er selbst streng genommen auch einer ist. Dies baute er auch in sein Programm ein. Eine Story über einen komischen Werbedreh und die Privilegien des InfluencerInnen-Daseins sorgte etwa für einige herzhafte Lacher. Immerhin sei es der "einfachste Job der Welt", InfluencerIn zu sein. Ich wollte mehr davon hören, Geschichten aus dem Nähkästchen und Storys darüber, wie es abseits von Instagram, TikTok & Co abläuft. Dieser Wunsch wurde mir aber nicht erfüllt.

Witze aus der untersten Schublade

Stattdessen folgten Anekdoten aus der Zeit vor Streaming-Plattformen und über Social Media, zum Dating-Leben und den Problemen der Schulzeit. Die Themen waren gut gewählt, doch grottig umgesetzt. Witze darüber, dass man zu dem ruhigen Kind in der Klasse mehr oder weniger nett sein soll, weil es am nächsten Tag plötzlich "mit der Waffe in die Schule kommen könnte", waren grenzwertig. Oder, dass Gianni laut seinen FreundInnen "unmännlich" fährt und somit ein schlechter Autofahrer sei. Er erklärte dies anschließend damit, dass er vielleicht einfach einen "queeren" Fahrstil hätte, weil es ja eh schon "65 verschiedene Geschlechter" gäbe und man sich nicht mehr nur auf Mann und Frau beschränken könnte.

Ich verstehe schon, dass man einige gesellschaftskritische Witze machen möchte, die vielleicht gegen die Meinung der Allgemeinheit gerichtet sind, doch Kommentare wie, dass man während einer Polizeikontrolle "einfach die LGBTIQ-Karte" spielen soll, weil das ja "immer" geht, fand ich nicht witzig, sondern schlichtweg beleidigend. 

Den Sinn von Satire verfehlt

Vor allem der erste Joke über Schießereien in Schulen hinterließ einen sehr bitteren Nachgeschmack, wenn man bedenkt, dass in Heidelberg vor über einem halben Jahr ein Amoklauf an der Universität passiert ist. Zwar die Heimatstadt des Künstlers, doch bieb Gianni eine Erwähnung eben dieser Tragödie schuldig.

Versteht mich nicht falsch, ich liebe böse Witze und schwarzen Humor. Zudem bin ich auch der Meinung, dass Satire (in Grenzen) ernste Themen sehr verspielt aufs Korn nehmen darf und soll. Doch "lustige" Aussagen über solch ernsthafte Geschehnisse können nicht auf einer Bühne in den Raum geschmissen werden, ohne darüber aufzuklären oder zumindest mit dem Witz auf ein Thema aufmerksam zu machen.

Zudem denke ich nicht, dass es Comedy ist, wenn man zwei- bis dreimal die Pointe des Witzes in das Mikro gröhlt, in der Hoffnung, ein paar mehr Schenkelklopfer im Publikum zu hören. Aber das ist vielleicht nur meine persönliche Meinung.

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Hilfe, die Mini-Playback-Show läuft!

Abgesehen von Giannis fragwürgen und teils unangenehmen Witzen waren auch seine musikalischen Einlagen eher peinlich. Ich finde es absolut in Ordnung, wenn man bei einem Live-Auftritt Playback performt. Der Druck ist groß, besonders wenn man kein/e professioneller SängerIn ist oder man zum ersten Mal vor größerem Publikum auftritt. Gianni performte drei Lieder, unter anderem den neuen Song "Nochmal Neu".

Doch kommt es bei gutem Playback nicht darauf an, dass man seine Lippen gemäß zur Musik bewegen soll? Das hat leider nicht so richtig bei Marco Gianni funktioniert. Die Abschlussperformance, die durch zwei bis drei seiner Crewmitglieder unterstützt wurde (unter anderem auch der Gitarrenspieler vor Showbeginn), glich eher einem traurigen Versuch, den österreichischen Kiddy Contest nachzuahmen. Währenddessen wurden Merch-Shirts des TikTokers ins Publikum geworfen.

 Gianni aber ließ sich für seine Einlage feiern und genoss offensichtlich seine Zeit im Rampenlicht, ich und meine FreundInnen verließen jedoch enttäuscht und mit einigen Fragezeichen das Wiener Globe.

Lieber am Handy als auf der Bühne

Mein Fazit: Ich denke nicht, dass beliebte TikTokerInnen automatisch Comedians für die große Bühne sind. Und obwohl mir absolut bewusst ist, dass Geschmäcker (glücklicherweise) verschieden sind, bin ich dennoch der Meinung, dass ich manche (!) Internet-Stars lieber online in ihrem natürlichen Habitat verfolgen möchte und sie bitte auch dort verweilen sollten.

Immerhin ist Social Media eine eigene Welt, die ihren eigenen Charme besitzt. Auf einer großen Bühne ein Showprogramm zu performen ist alles andere als einfach, bei Marco Giannis Auftritt war mir jedoch klar, dass ich den Abend lieber mit einem seiner Reels auf meiner Couch verbracht hätte. 

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Selma Tahirovic

Seit 2024 bei KURIER, davor Redaktionsleiterin von k.at. Befasst sich neben aktuellen Netztrends, TikTok-Hypes und YouTube-Analysen auch mit gesellschaftskritischen Themen sowie Liebe und Dating.

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