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Ankathie Koi: "Man muss Eskapismus zelebrieren"

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Ein Gespräch mit Ankanthie Koi an einem windig-kalten Nachmittag in einer gemütlichen Bar im 6. Bezirk. Statt Cocktails gibt es aber Schwarztee gegen die wetterbedingten Kopfschmerzen. Vom sommerlichen Intermezzo Mitte April keine Spur mehr. "Das Wetter war da toll, aber auch sehr, sehr strange," meint sie mit ihrem typischen, hellen Lachen, das den ganzen Raum sofort fröhlicher werden lässt. Um den Hals trägt sie eine Kette mit einem roten Chilischoten-Anhänger, farblich abgestimmt zum knalligen Lippenstift. Passenderweise lautet der Titel ihres neuen Albums auch "Pikant" (VÖ 26. April, Faszinator Music).

Sie habe sich für diese dritte Platte besonders viel Zeit genommen, mehr noch als bei den beiden Vorgängerwerken. Die größte Herausforderung sei der Sprachwechsel gewesen. Warum diesmal nur Songs auf Deutsch? "Ich spreche schon okayes Englisch, aber ich bin natürlich kein Native. Ich hatte das Gefühl, dass ich während Corona in der Sprache unsicherer geworden bin und plötzlich Probleme hatte, meinen weirden Humor richtig auszudrücken. Wenn man sich nicht laufend damit auseinandersetzt, fließt die Sprache nicht richtig und läuft Gefahr, platt zu klingen. Und platte Sachen mag ich einfach gar nicht."

Klare, direkte Popsongs seien diesmal das erklärte Ziel gewesen. Während sie bei ihrem letzten Album "Prominent Libido" soundtechnisch noch deutlich mehr experimentiert hat, sollten die neuen Lieder geradliniger werden. "Ich wollte, dass jeder einzelne Song so gut und einfach funktioniert, dass ich ihn meiner Mama auch am Lagerfeuer mit der Gitarre vorspielen kann. Und das ist die schwerste Kunst: Schlichtheit, ohne banal zu sein. Auf den Punkt kommen, ohne abgedroschen zu klingen."

Kinky, aber bitte nicht grindig!

Was sich jedoch nicht geändert hat: Ankanthie Koi ist und bleibt die Meisterin der Doppeldeutigkeiten, wie man etwa an der neuen Single "Tiefer" hört. Zwar kommt das Lied mit einem beschwingt leichten 80s-Sound daher (wie könnte es anders sein?), der Text bleibt aber eine Spielwiese der Interpretationsmöglichkeiten. Zeilen wie "Jede Schwere mach ich leicht für dich, in jede dunkle Spalte werf ich Licht" sind eindeutig zweideutig, ganz bewusst. "Man kann die Songzeile auf zwei Arten sehen: Entweder ich als die große Lichtbringerin – oder man macht einen Abstecher in den Kit-Kat-Club," erklärt sie mir grinsend. Die sexuelle Konnotation ist nicht von der Hand zu weisen, der Song soll die Fantasie einer Frau beschreiben, die kurzerhand die Rollen vertauscht, sich "wie ein Mann" ihre Befriedigung vom Gegenüber holt. Wichtig bleibt aber die Betonung auf dem Konsens. "Wir teilen dieses Wollen, diese pikanten Dinge, es ist so ein Bonny-und-Clyde-Ding."

Eigentlich besingt das ganze Album die weibliche sexuelle Selbstbestimmung und das Recht darauf, diese offen zu leben, selbst wenn die Gesellschaft Schnappatmung bekommt. "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich bisexuell bin und das auch sehr auslebe, mein Mann und ich haben immer eine offene Beziehung geführt. Aber dann kam Corona, dann hab ich ein Kind bekommen, bin plötzlich 40 geworden." Wieder dieses helle Lachen, gefolgt von sarkastisch hochgezogenen Augenbrauen: "Darf ich also überhaupt noch Sex haben? Darf ich gar mit jüngeren Männern schlafen?"

Mit letzterer Frage und dem dazugehörigen Tabu setzt sich der Song "Baby Boy" auseinander. "Ältere Frauen mit jüngeren Männern werden nach wie vor schief beäugt. Stars wie Madonna leben es zwar vor, es ist aber weit noch nicht so in den Medien verbreitet wie umgekehrt," meint Ankathie Koi. "Es gibt Tausende Songs über 'Sugar Daddys', aber die meisten davon sind ziemlich grindig. Ich wollte also meinen 'Cougar'-Song schreiben, aber auf liebevolle Art und Weise. Gerade die Zeile 'wie du zitterst find ich lieb' habe ich genau so erlebt, und das war einfach so cute, dass ich es in den Song gepackt habe."

Live findet die kinky-freche Nummer bereits großen Anklang. "Es sind ja immer sehr viele Frauen auf meinen Konzerten, gerade in den ersten Reihen stehen oft Besucherinnen zwischen 35 und 55 Jahren. Und bei dem Lied haben alle ein verzücktes Lächeln auf den Lippen, ganz nach dem Motto: 'Wir wissen genau, was du meinst!'" 

Sich wieder freitanzen

Auch der Appell für mehr Leichtigkeit ist großes Thema auf der Platte. "Das Album soll allgemein ein Tool sein gegen Schwere, dabei jedoch nicht nur an der Oberfläche kratzen. Daher habe ich bei den Texten diesmal weniger Worte verwendet, denen aber umso mehr Gewicht gegeben." 

Das Lied "Tanz dich rein" etwa richtet sich an eine junge Generation, die vor Sorgen erdrückt zu sein scheint. "Ich selbst hatte eine voll unbeschwerte Jugend und Kindheit. Jetzt aber haben wir eine Generation, die sich nicht ins Schneckenhaus zurückgezogen hat, sondern durch Corona, durch die Angst vor Kriegen und Klimakrise unfreiwillig hineingezwickt wurde. Es sind noch nie so viele Benzos verschrieben worden wie heute! Damals auf der Love Parade haben die Leute was genommen, um noch higher zu sein – die jungen Menschen heute bekommen aber etwas verschrieben, um überhaupt durch den Tag zu kommen." 

Dieses Niederdrücken von Emotionen, sich vor lauter Ängsten in Watte packen, fände sie weitaus bedenklicher, als einmal im Monat bei einer Partynacht die Sau rauszulassen. Auch der Song "Rette sich wer kann" ruft daher zur gesunden Realitätsflucht auf. "Ich steh total auf Eskapismus. Jedoch nicht übertrieben, es gibt ja Leute, die verirren sich darin, verlieren komplett ihre Bodenhaftung. Aber ein kurzes Abschalten hin und wieder, um kleine Resets zu machen, kann total rettend sein. Das muss man zelebrieren, finde ich."

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Ankathie Koi über Tinder: "Ich bin ja nicht prüde, aber das …"

Die mitunter absurde Dating-Kultur unserer heutigen Zeit fand ebenfalls ihren Weg aufs Album, genauer gesagt im Song "Nein Nein": "Mal bist du sicher, mal lässt du’s sein, mal machst du zu, mal gehst du rein. Erst willst du f*cken. Und dann gehst du immer heim … "

Als das Thema Tinder und Co. aufkommt, setzt Ankathie Koi ihre Teetasse ab und greift sich an den Kopf: "Ich habe tatsächlich noch nie getindert in meinem Leben, aber ich kenne viele, die sehr viel getindert haben. Eine Freundin hat sich mal mit einem getroffen, der während ihrem Tinder-Date ein anderes Tinder-Date ausgemacht hat! Eh classic heutzutage, aber für mich war das einfach unerhört. Ich bin alles andere als konservativ, aber das war mir zu krass. Und genau darum geht es in dem Song: Die Leute haben keinen Anstand mehr. So grundsätzliche Dating-Regeln sollten wir doch alle gelernt haben, oder? Ich bin erst 40 und habe das Gefühl, ich bin komplett Oldschool, was das betrifft."

Wenn das sogar der exzentrischen Ankathie Koi, die von der Presse als "wilde Fee des österreichischen Pop" bezeichnet wurde, zu steil ist, heißt das wohl etwas. Auch wenn ihrer früheren Eskapaden ein Ende fanden, nachdem sie Mutter wurde, wie sie meint. "Ich war zuerst überhaupt nicht die coole Rock’n‘Roll-Mama, die ich eigentlich sein wollte," gesteht sie. "Ich habe mich anfangs kaum getraut, die Kleine spazieren zu fahren, weil ich mir so viele Gefahren ausgemalt habe. Diese plötzlichen Höllenängste kannte ich davor nicht, damit musste ich erst klarkommen."

"Die Bühne ist alles für mich"

Das Tourleben müsse jedoch weiterhin funktionieren. Um das kleine Töchterchen entsprechend zu betreuen, gäbe es zum Glück "ein ganzes Dorf" an Freund:innen und Bekannten, die mithelfen. "Es braucht eben ein super Zeitmanagement. Die andere Option wäre sonst, dass wir nicht live spielen. Und davon hat die Kleine auch nichts, denn dann hat sie eine frustrierte Mom daheim." Und auch, wenn die Elternschaft das wilde Privatleben ruhiger gemacht hat: Auf der Bühne sieht die Sache anders aus. "Live bin nach wie vor ungezügelt, ich könnte gar nicht anders. Ich gehe erst von der Bühne, wenn ich schweißgebadet bin, gebe immer 120 Prozent."

Die pure Freude am Livespielen treibe die Sängerin mit der Vier-Oktaven-umfassenden Stimme eben an, auch wenn der Weg dahin alles andere als einfach ist. "Ein Album zu machen ist unfassbar anstrengend, auch finanziell. Ich bringe es selbst auf meinem eigenen Label heraus, muss dabei enorm in die Vorleistung gehen. Das muss man sich erst einmal 'antun'. Aber ich will halt live spielen, die Bühne ist alles für mich." 

Ankathie Koi live

27.04.24 Wien, Konzerthaus (Mozartsaal)     
16.05.24 Festspielhaus, St. Pölten     
29.05.24 Arge, Salzburg     
30.05.24 Kammgarn, Hard     
31.05.24 Kino, Ebensee     
06.06.24 Posthof, Linz     
20.07.24 Donaubühne, Tulln 

Ohne ihren geliebten "Day-Job" als Lehrende für Gesang an der Musikuni Wien würde es sich für Kathrin Isabella Beyer, wie die gebürtige Bayerin mit bürgerlichem Namen heißt, nicht ausgehen. "Wirklich von der Musik alleine leben können hierzulande nur ganz wenige. Ohne ein Major-Label im Rücken geht das nicht. Ich hatte Glück, dass ich den Musikfonds bekommen habe, ohne den wäre es nicht gegangen. Es ist auch nicht jeder Tour-Gig gut bezahlt, etwa in Deutschland. In Österreich funktioniert das aber schon ganz gut. Und mir ist es extrem wichtig, dass die Band fair bezahlt ist."

Mit besagter Band feiert Ankathie Koi am 27. April Release-Konzert von "Pikant" im Wiener Konzerthaus. Gespielt wird im Mozart-Saal, die Tickets sind zum Zeitpunkt unseres Gesprächs schon fast ausverkauft. "Wir haben extra die Stühle aus dem Saal rausnehmen lassen, damit mehr Platz ist. Es werden eineinhalb Stunden nur zum Tanzen sein."

Amina Beganovic

Seit 2024 beim KURIER-Newsdesk, davor Redaktionsleiterin von events.at. Befasst sich neben dem aktuellen Tagesgeschehen auch gerne mit Themen aus den Bereichen Gesellschaftspolitik, Kultur und Veranstaltungen.

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