Salzburger Festspiele: Alte Frauenrollen ganz neu in "Iphigenia"
Die polnische Theaterregisseurin Ewelina Marciniak gibt mit der Uraufführung "Iphigenia" frei nach Euripides/Goethe von Joanna Bednarczyk bei den diesjährigen Salzburger Festspielen ihr Regiedebüt. In der Koproduktion mit dem Thalia Theater Hamburg wird das Frauenopfer der griechischen Mythologie ins 21. Jahrhundert transferiert, neu interpretiert und hinterfragt. Auch das Thema Missbrauch spielt eine Rolle.
"Man kann mir die Frage stellen, warum bringe ich nicht etwas ganz Neues auf die Bühne?", sagte Marciniak am Mittwoch im Gespräch mit Schauspielchefin Bettina Hering in Salzburg. Doch hinter dem klassischen Kanon verstecke sich auch Gegenwartsdramatik. Aus archetypischen Erfahrungen könne man auch zeitgenössische Geschichten erzählen, die Klischees, Muster und zeitgenössische Fragen aufwerfen. Es sei leichter für das Publikum, wenn diese Fragen nicht direkt gestellt werden, sondern durch einen historischen Kontext.
Marciniak lässt sich bei der Auswahl der Stücke von der sozialen und politischen Situation inspirieren und speist sie in aktuelle Diskurse ein. Sie setzt sich mit den weiblichen Rollen in der Gesellschaft und mit all jenen auseinander, die von der Gesellschaft ausgeschlossen sind. "Alles am Theater ist politisch. Ich möchte für Toleranz, für ausgrenzte Menschen kämpfen, für Feminismus."
Wofür opfert frau sich?
In "Iphigenia" wird die Frage aufgeworfen: Wofür opfert sich eine Frau in unserer Zeit? Die weibliche Titelfigur erfahre, was es bedeutet, das private Leben für die Karriere als Pianistin zu opfern, erzählte Marciniak. Und sie erfahre, was es bedeutet, wenn der Vater Agamemnon, ein Ethikprofessor, der ein Buch über die "Me Too"-Bewegung herausgibt, bereit ist, seine Tochter aufgrund gesellschaftlichen Prestiges zu opfern. "Mit ihr hatte er ja eine wunderbare Vater-Tochter-Beziehung, sie unterstützten einander."
Die Vertuschung eines Missbrauchs wird innerhalb des Familienverbandes von der Tochter als Opfer gefordert. "Der Vater schafft es offenbar nicht, für Werte und Würde einzustehen. Iphigenia fühlt sich zurückgesetzt und von der Familie betrogen. Die Wahrheit wird geopfert. Es wird Iphigenia verboten, ihren Schmerz zum Ausdruck zu bringen. Es geht auch um die Folgen des Schweigens." Die Titelfigur wird mit zwei Schauspielerinnen besetzt, Oda und Rosa Thormeyer verkörpern die junge und die alte Iphigenia. "Die Frage stellt sich für mich: Ist sie in der Lage, die Vergangenheit zu bewältigen?"
In diesem Stücke gehe es im Grunde um eine Familiengeschichte, denn Klytämnestra, die Mutter von Iphigenia, sei ebenfalls in zahlreiche Probleme verstrickt, schilderte die Regisseurin. Die choreografischen Tanzszenen bezeichnet sie als "Body Expressions", durch diese körperliche Ausdrucksweise würden die Emotionen "intensiver und authentischer" vermittelt.