"Tartuffe": Letzte erfolgreiche Premiere im Wiener Lustspielhaus
Nicht erst das tatsächliche Stück, sondern bereits die einleitenden Worte sind für Adi Hirschal ein Schauspiel. Vor der Premiere von Molières "Tartuffe" erschien der Gründer des Wiener Lustspielhauses nicht als er selbst, sondern als Schauspieler, der im Auftrag Hirschals hier sei. Es folgte eine Begrüßung und gleichsam ein Abschied - denn "Tartuffe" ist die letzte Premiere unter dem Theaterzelt. "Vielleicht landet das Theater irgendwo andernorts", hoffte Hirschal.
Lustspielhaus muss Pforten schließen
200.000 Euro erhält das Lustspielhaus heuer von der Stadt Wien, die es damit nach pandemiebedingten Einnahmerückgängen entschuldet. So meldete sich auch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) - wenn auch nur im Programmheft - zu Wort und bezeichnete die einst in Tradition des Alt-Wiener-Straßentheaters gegründete Bühne als "Fels in der Brandung". "Auch ein Fels kann zu bröckeln beginnen", sagte der Gründer des Theaters, der den von Tartuffe betrogenen Umbert Umbeleckt gibt, und betonte immer wieder, diese Worte würden aus der Feder des Adi Hirschal stammen. Die Stadt Wien könne sich das Lustspielhaus wohl nicht mehr leisten. Dass das Ende so schnell gekommen sei, habe dann doch überrascht, fügte er hinzu. Die Zuschauer teilten seine Sentimentalität und schenkten Hirschal ein langgezogenes "Ooh".
Als Hirschal schließlich hinter der als Speisezimmer dekorierten Bühne verschwand, ging es auch schon los. Und zwar mit Erika Deutinger, die sich als polnische Haushälterin Milena weder dem Wiener Dialekt, noch dem osteuropäischen Akzent gänzlich verschrieben hat und von einem Extrem zum anderen schwankt. Von all den schlagfertigen Figuren unter dem Theaterzelt ist sie die Schlagfertigste. Nur um wenig stehen ihr im Pointen-Setzen und in der Intensität ihres Spiels allerdings der betrügerische Geck Tartuffe (Martin Bermoser), Umbeleckt und seine Stieftochter Alibertina (Hirschals Tochter Maddalena Hirschal) nach.
"Tartuffe" auf Wienerisch
Der für die gespielte "Tartuffe"-Version verantwortlich zeichnende Franzobel hat den Text ins Wienerische übertragen, Charaktere umbenannt und das 17. mehr dem 21. Jahrhundert angepasst. Verhaltene Andeutungen sind dem Autor ein Fremdwort, strapaziert er ein Thema doch mit einer expliziten Anspielung nach der anderen: Mal sucht man die Pest mit Wurmmittel zu besiegen - Umbeleckt und Tartuffe geben sich ganz dem Alternativ-Titel "Ich glaub' was ich will" entsprechend als Pest-Zweifler -, mal glaubt man, dass Impfen unfruchtbar macht und man dies auch noch an die Nachkommen übertragen könne. In der Speisekammer lagert ein Berg Klopapier. Geht man hinaus, so scheint die Pestmaske in Mode zu sein, deren moderne Äquivalente nur noch wenige Gesichter im Publikum zieren. Dass die Pointen bis zum Ende bei den Zuschauern ankommen, bestätigt die verbindenden Elemente der Corona-Pandemie.
Gesang und Persiflage in einem
Wie im Original lässt sich der leichtgläubige Umbeleckt auch in der von Viktoria Schubert inszenierten Wiener-Version von Tartuffe verführen und will ihm nicht nur seine eigentlich schon einem anderen versprochene Stieftochter, sondern auch seine Besitztümer vermachen. Sogar das Bootshaus wird dem großmäuligen Betrüger geschenkt, der ganz ohne rettende Eigenschaften auskommt - ausgenommen davon, dass er "zu jung, zu schön und zu intelligent" sei. "Kriegst eh alles, was du willst", versichert Umbeleckt schon 400 Jahre bevor das Statement berühmt werden sollte.
Handlung, Corona-Verweise und sitzende Politiker-Persiflagen werden immer wieder durch Musik unterbrochen, und man tut Martin Bermoser Unrecht, wenn scherzhaft behauptet wird, mit dieser Stimme könne man "nur im Wiener Lustspielhaus auftreten". Gesungen werden Klassiker wie "My Way" oder "Hit the Road Jack" mit Wienerischen Texten. Am Ende lässt sich Umbeleckt doch noch von der Wahrheit überzeugen und alles geht gut aus. Und auch Adi Hirschal scheint zufrieden: Beim End-Applaus springt der strahlende 73-Jährige vom Esstisch auf die Bühne.