Ersehnte Premiere: Nikolaus Habjan inszeniert "Die Blendung"
"Theater zu machen, ist gerade richtig unlustig", sagt Nikolaus Habjan. Wenige Tage vor der Premiere seiner Inszenierung von "Die Blendung", die am Samstag am Landestheater Niederösterreich über die Bühne gehen soll, ist nicht ganz klar, wie stark die grassierende Omikronwelle sein Ensemble zeitweise dezimieren wird. Den Ausfall einer Kollegin habe er mit einer Konzeptänderung mühsam auffangen können, meint er. Fällt aber noch jemand aus, könnte es richtig eng werden.
Puppen in der Nebenrolle
Zwei Fragen stehen bei Inszenierungen des Regisseurs, Puppenbauers und -spielers immer im Vordergrund: Spielen Puppen mit? Und spielt er selbst mit? Ersteres ja, Zweiteres nein, meint Habjan. Die beiden Hauptfiguren, der seltsame Sinologe Peter Kien, der sich in seiner riesigen "Bücherfestung" verkrochen hat, und seine Haushälterin Therese Krumbholz werden von Schauspielerinnen gespielt. Bettina Kerl und Julia Kreusch sind dafür "die absoluten Wunschbesetzungen". Eine Reihe von Nebenfiguren wie der Hausbesorger Pfaff oder der Betrüger Fischerle werden von Puppen verkörpert. Nicht ganz ernst gemeinte Frage: Wären Puppen nicht der Ausweg aus jeder Coronakrise? In Japan soll es tatsächlich bereits Schauspielroboter geben, erzählt Habjan im Gespräch mit der APA. "Wenn die zu uns kommen, suche ich mir aber einen anderen Beruf..."
In Kontakt mit dem Anfang der 1930er-Jahre geschriebenen, 500 Seiten starken Roman von Elias Canetti sei er erst durch das Theater gekommen, erzählt der 34-Jährige, der auch als Opernregisseur und als Kunstpfeifer steile Karrieren hingelegt hat. 2005 habe ihn am Grazer Schauspielhaus eine Bühnenadaption von Friederike Heller sehr beeindruckt, die er mehrfach gesehen habe. Der Roman, den er sich daraufhin gekauft habe, "hat sich aber durchaus dagegen gewehrt, gelesen zu werden". Fasziniert habe ihn, dass alle Figuren absolut überzeichnet seien. "Alle ohne Ausnahme sind schlecht. Der Roman ist für mich eine ganz grausame Karikatur, ein Zerrbild der Wirklichkeit und ein Beweis, wie sehr man die Augen vor historischen Entwicklungen verschließen kann."
Das Bühnenbild wird zum Labyrinth
Für St. Pölten, wo Habjan schon Elfriede Jelineks "Am Königsweg" inszeniert hat, hat der renommierte Schriftsteller und Psychiater Paulus Hochgatterer die Dramatisierung übernommen. Habjan und Hochgatterer haben bereits einige gemeinsame Projekte hinter sich, von "Böhm" in Graz bis zu "Das Rheingold - Immer noch Loge" in Bayreuth. "Das war jetzt wieder eine schöne Zusammenarbeit", erzählt der Regisseur. "Wir haben lange überlegt, wie man den Roman auf einen 100-Minuten-Theaterabend bringen kann. Dafür mussten wir uns natürlich von manchen Aspekten des Buches verabschieden." Geblieben sind vor allem Kien, seine Haushälterin und die Grundmetapher der riesigen Bibliothek, die am Ende in Flammen aufgeht. Das Bühnenbild von Jakob Brossmann sei "eine Art Labyrinth" und lebe von der "Macht der Behauptung", sagt Habjan. Denn die 25.000 Bände, die angeblich Kiens Bibliothek umfassen soll, habe man auch durch Bücherspendenaufrufe nicht annähernd zusammenbringen können.
Die letzten Probentage waren vom Ukraine-Krieg überschattet. "Ich kann das noch gar nicht richtig fassen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass so ein Krieg in unmittelbarer Nähe ausbricht. Und doch konnte man bereits 2014 mit der Annexion der Krim sehen, welche Richtung das nehmen wird. Das wollte man nicht wahrhaben. Es ist eben sehr leicht, so etwas auszublenden." Und um Realitätsverweigerung geht es letztlich ja auch in Canettis Roman.