Theater mit Haltung: "Leben und Sterben in Wien"
Massenszenen vom Dorffest bis zur Demonstration, ohrenbetäubende Schüsse und Schneefall im Februar: Für die Uraufführung von Thomas Arzts Auftragswerk "Leben und Sterben in Wien" zum 90. Jahrestag der Februarkämpfe hat Josefstadtdirektor Herbert Föttinger in der letzten eigenen Inszenierung seiner bis 2026 laufenden Amtszeit tief in die Realismuskiste gegriffen. Aktuelle Bezüge wurden so bei der Premiere am Donnerstag weitgehend im Geschichtsbuch erstickt.
Politische Gestaltungsmöglichkeiten vorm Nationalsozialismus
Der zwischen 1927 und 1934 spielende Text, der den faschistischen Boden aufarbeitet, in dem der Nationalsozialismus in Österreich keimen konnte, hätte nicht zuletzt durch geschickt eingestreute sprachliche Referenzen an die Gegenwart die Möglichkeit zur Abstraktion geboten. Doch Föttinger steckt gleich zu Beginn ab, wohin die Reise geht: Trachten, Tanz und sexueller Missbrauch im Dorf, Konspiration und Revolution in der Stadt. Mittendrin die Magd Fanni (Katharina Klar), die sich von der geheimnisvollen Zugezogenen Sara (Johanna Mahaffy) angezogen fühlt und sich nach deren Ermordung nach Wien aufmacht, um dort in die Welt der Schutzbündler einzutauchen, die sich nach den Schattendorf-Morden in einem Theater auf den bewaffneten Kampf vorbereiten. Für das unbedarfte Mädchen, das im Dorf unter der Herrschaft des Großbauern Sepp und dessen despotischer Mutter gelitten und sich vom Heimwehrler Hans hat schwängern lassen, taucht in eine Welt ein, die ihr auch als Frau die Möglichkeit zur politischen Gestaltung aufzeigt.
Als Föttinger mit dem Stückauftrag auf ihn zukam, sei er zunächst zögerlich gewesen, "weil in dem Thema viel Schwarz-Weiß lauert und auch politische Erwartungshaltungen stecken, sich zu positionieren", erklärte Arzt im Vorfeld im APA-Interview. So habe er versucht, mit der Erzählung anhand der Figur der Fanni auch eine Emanzipationsgeschichte zu erzählen, die schlussendlich am faschistischen Patriarchat zu scheitern droht. Die Entwicklung vom naiven Mädel zur kampflustigen, starken Frau zeichnet Katharina Klar dabei solide nach und lässt sowohl den hintertriebenen Kindsvater Hans (Jakob Elsenwenger) als auch den jungen Sozialisten Otto (herrlich abgehoben: Alexander Absenger) nicht mehr ihr Schicksal bestimmen. Doch diese emanzipatorische Entwicklung gerät in Föttingers opulenten Massenszenen, in denen der 20-köpfige Bewegungschor mit teils ins Komödiantische abgleitenden Auf- und Abtritten das Fortschreiten und die wechselnden Gesinnungen der Zeit symbolisieren soll, allzu oft in den Hintergrund.
Musikalische Live-Einlagen
Die Überzeichnung der Figuren - vom konspirativen Theaterdirektor (Günter Franzmeier) über den perfiden Polizeiinspektor (Joseph Lorenz) bis zur ins nationale Lager wechselnden Arbeiterin Rosl (Alma Hasun) und dem bigotten Priester (Robert Joseph Bartl) - macht den fast dreistündigen Abend über weite Strecken zu einer theatralen Geschichtsvorlesung, die erst recht in die Schwarz-Weiß-Falle tappt. Thomas Arzts elliptische Dialoge kommen jedoch allzu oft etwas hölzern über die Lippen der Darsteller und bremsen die Dynamik. Auch die sich verfestigenden gesellschaftliche Gräben und sich aufschaukelnde Wut auf die gegnerische Partei bleiben allzu sehr im Rahmen der historischen Eckpfeiler (Justizpalastbrand, Februaraufstand) eingezwängt.
Die feinen musikalischen Live-Einlagen des in einer Loge postierten Matthias Jakisic werden vom inbrünstigen Chor nicht selten in die Enge gedrängt, die Licht- und Nebelstimmungen auf der angenehm abstrakt bleibenden Bühne (Die Schichtarbeiter) unterstreichen den dezidierten Blick in die Vergangenheit. Am Ende bleibt die Vermutung, dass weniger auch mehr hätte sein können. Viel gab es am Ende jedenfalls vom Applaus, mit dem sich das Publikum für diese theatrale Geschichtsstunde mit Haltung bedankte. Dass Thomas Arzt sich in einem T-Shirt mit der Aufschrift "Demokratie" verbeugte, verdeutlichte den Anspruch des Abends schließlich mehr als dessen Umsetzung selbst.
(Von Sonja Harter/APA)