Über Femizide reden: Streeruwitz im Kosmos Theater
"Es hat dir Spaß gemacht. Oder?" Es sind Sätze wie diese, mit denen Marlene Streeruwitz in ihrem neuen Stück "Nachsagungen." die größte innere Stille erzeugt. In ihrem Auftragswerk, das am Freitag im Wiener Kosmos Theater uraufgeführt wurde, verhandelt die Autorin das Thema Femizid. Gerti Drassl verleiht den sechs Figuren in ihren Monologen eine Eindringlichkeit, die schaudern macht und schafft einen Theaterabend, den man nicht so schnell vergisst.
Den Opfern eine Stimme geben
Ein riesiges weiße Laken zieht sich von der Decke bis zum Boden, in der Mitte eine rote Spur aus LED-Lichtern, die langsam nach unten sickert. Schatten von Frauen erscheinen und verschwinden, im Raum auf und ab schwebende Neonröhren sorgen für kaltes Licht. Martin Siemann hat mit seinem Bühnenbild ein denkbar reduziertes Setting geschaffen, in dem Laura Andreß und Stefan Schweigert einen Text inszenieren, der dazu angetreten ist, die Perspektive zu wechseln. "Nach Morden dominieren in der medialen und juristischen Aufarbeitung die Täter und ihre Gewalttaten", heißt es im Programmheft. "Was dabei völlig in den Hintergrund gerät, sind jene Leben, die auf brutale Weise ausgelöscht werden." Und so verleiht Streeruwitz sowohl den Opfern als auch den Hinterbliebenen eine starke Stimme, die nicht selten fragt: Hätte ich es verhindern können?
Den Anfang macht eine Frau, die nach dem Mord an ihrer früheren Freundin mit einer Bekannten telefoniert: "Ich habe es gesagt. Oft. Ja. Ja schon. Und sie hätte. Voll. Sie hätte voll gehen können. Ich wäre gegangen. Wirklich." Es sind Wortfetzen, wie sie nach Gewalttaten wohl immer wieder im Umfeld der Opfer zu hören sind. Außenstehende hätten etwas anders gemacht, hätten den Mann beim ersten Anzeichen von Gewalt verlassen. Die Freundin habe sich immer mehr zurückgezogen, man habe den Kontakt verloren, und jetzt - aus der Zeitung habe man es erfahren. Drassl redet in dieser ersten Szene wie ein Wasserfall, schwankt zwischen Überheblichkeit und Naivität.
Kein Familiendrama, kein Ehestreit
In der zweiten Szene steht eine Frau im Zentrum, der langsam dämmert, dass es vielleicht falsch war, dem Mann noch die Hemden zu bügeln, als er schon längst bei seiner Geliebten wohnte. "Er hat mit mir als Entführungsopfer geredet, das das Lösegeld selber zahlen muss." Einer von vielen Sätzen, die sitzen. Während man sich noch fragt, ob die Ich-Erzählerin wohl mit dem Leben davongekommen ist, schlüpft Drassl bereits in die nächste Rolle und berichtet aus der Perspektive eines pensionierten Polizisten von der Ohnmacht an Tatorten und wünscht sich, stattdessen Sanitäter geworden zu sein. Die Rettung könne die verletzten Frauen in Sicherheit bringen, der Polizei bleibt die Auseinandersetzung mit den Tätern - oder die Organisation des Leichentransports.
Eine der berührendsten Szenen ist jene einer Mutter, die nach dem Mord an ihrer Tochter auf dem Boden liegt und sich die Frage stellt, ob sie etwas verhindern hätte können: "Aber ich hätte nichts tun können, haben die bei der Polizei gesagt. Aber das haben die nur so gesagt." Eine, die nicht weiß, wie viele Frauenmorde sie vielleicht verhindert hat, ist im Anschluss eine Sozialarbeiterin, die in ihrem Monolog Einblicke in ihre Arbeit gibt und noch einmal festhält, was genau ein Femizid ist: "Die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts." Kein Familiendrama, kein Ehestreit.
Hoffnungsvolles Ende
Die letzte Szene dieses kurzen Abends gehört schließlich einer Überlebenden, in der Streeruwitz verdeutlicht, dass Gewalt gegen Frauen kein Problem ist, das nur Frauen am sozialen Rand betrifft. Sie lässt die Frau eines gefeierten Musikers sprechen, der seiner Ehefrau vor der Probe im Konzerthaus noch schnell den Kiefer bricht und die nur überlebt hat, weil sie sich tot gestellt hat. Es ist eine bittere Rückschau auf eine Liebe, die vom ständigen Verzeihen geprägt war. Aber auch die Geschichte einer Frau, die den Absprung noch geschafft hat.
Ein hoffnungsvolles Ende für einen Abend, der die vielen emotionalen Facetten rund um Frauenmorde in Worte zu fassen sucht. Gerti Drassl vermag es dabei, jeder der Figuren eine eigene Stimmung zu verleihen, eine persönliche Stimme zu geben. Mit ihrem Text, der weitgehend ohne erhobenen Zeigefinger auskommt, schafft Streeruwitz den Boden für Gespräche, die zu führen sind. Die Gelegenheit dazu gibt es nach den Vorstellungen am 5., 8. und 9. Mai, wenn Expertinnen wie die Sozialarbeiterin Andrea Brem oder die Rechtsanwältin Sonja Aziz zu Publikumsgesprächen laden.
(Von Sonja Harter/APA)