Theater Wien

"Schwanda": Oper als sexuelle Sinnsuche

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Es kommt nicht oft vor, dass in Wien ein Opernhaus den Besuch einer Inszenierung ab 16 Jahren empfiehlt und im Internet eine Triggerwarnung wegen sexuellen Inhalts setzt. 

Und auch bei Tobias Kratzers Deutung von Jaromír Weinbergers Oper "Schwanda, der Dudelsackpfeifer" im Musiktheater an der Wien am Samstag ist man über lange Strecken geneigt, das Ganze für einen Marketinggag zu halten. Am Ende dreht die psychosexuelle Lesart des 1927 erschienen Werks aber doch ein wenig auf.

Ein Happy End

Gespielt wird der "Dudelsackpfeifer" in Max Brods deutscher Übertragung des tschechischen Originals. Das lange vergessene Werk erlebt in den vergangenen Jahren ein gewisses Revival. Im Zentrum steht der junge Musiker Schwanda, welcher der ehelichen Zweisamkeit mit Dorota entflieht und sich mit dem Kriminellen Babinsky auf Abenteuerreise zur versteinerten Eiskönigin macht, deren Herz - und nicht nur das - er erwärmt. Es kommt nach allerlei Verwicklungen zur Beinahehinrichtung, dem Abstieg in die Hölle, zum Austricksen des Teufels und am Ende zum Happy End.

Regisseur Tobias Kratzer, designierter Leiter der Hamburger Staatsoper, liefert nach seiner enttäuschend-biederen "Gazza Ladra" im Vorjahr am Musiktheater an der Wien nun eine eigenständige, stringente Arbeit ab, in der er die im Libretto angelegte Frage der sexuellen Sinnsuche in den Vordergrund rückt. 

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Fantasie und Wirklichkeit

Schwanda stürzt sich in Abenteuer mit anderen, während auch sein vermeintlich treuherziges "Liebchen" Dorota alles andere als ein Kind von Traurigkeit ist und bereits im ersten Bild zu den Schlussakkorden der Ouvertüre mit dem Räuber Babinsky im Bett einen ersten Höhepunkt bietet. Wie weit ist die Figur des Babinsky im Spannungsfeld von erotischer Fantasie, Deus ex Machina und Verführer beider Teile des jungen Paares Projektionsfläche, wie weit realer Charakter?

Dass diese tiefenpsychologische Lesart in sich funktioniert, ist nicht zuletzt dem herausragenden Trio aus Andrè Schuen als Schwanda, Vera-Lotte Boecker als Dorota und Pavol Breslik als Babinsky zu verdanken. Stimmlich sind alle drei in ihrem Fach von nuancierter Klarheit, überzeugen durch unforcierte Tragfähigkeit und verhältnismäßig weiches Timbre. Und sie wissen - namentlich Breslik und Boecker - auch darstellerisch zu überzeugen in der Ausgestaltung ihrer ins Heute gehobenen Figuren.

Frühere Broadway-Zeit und Orientalismen

Die dennoch immer wieder vorhandenen Brüche des Abends ergeben sich an anderer Stelle. Weinbergers 1927 uraufgeführte Oper klingt nämlich meist so gar nicht nach 1927. In der Ouvertüre gibt es durchaus Anmutungen der frühen Broadway-Zeit und Orientalismen, über weite Strecken dominieren allerdings Spätromantik und böhmische Folklore, was der tschechische Dirigent Petr Popelka, designierter Chefdirigent der Wiener Symphoniker mit "seinem" Orchester fein herauskitzelt.

Das trägt allerdings immer wieder zur Bild-und-Tonschere bei. Sexclub und böhmische Fuge gehen eben nur zum Teil Hand in Hand. Und auch wenn die Eiskönigin hier mit der Disney-Elsa wenig zu tun hat, sondern ein lasziver Vamp ist, stört der eine oder andere Volksliedeinschlag doch die angestrebte Atmosphäre. Zugleich setzt Kratzer bewusst filmische Zitate, wenn Schwandas Bestrafung auf Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut" referenziert oder die Vorhölle daherkommt wie ein Set von Aki Kaurismäki. 

Am Ende lässt er den jungen Künstler durch sexuell libertär genutzte Gewölbe zurück zu seinem Liebchen wandeln - und seinen Dudelsack wieder im ehelichen Schlafzimmer pfeifen.