Bregenzer Festspiele: Splatter-Ästhetik bei "Ernani"-Premiere
Mit der Oper "Ernani" bieten die Bregenzer Festspiele ein vergleichsweise selten gespieltes Werk von Giuseppe Verdi auf der großen Bühne im Festspielhaus. Dass die Musik ausschlaggebend für die Werkwahl von Intendantin Elisabeth Sobotka war, wurde am Mittwoch beim Eröffnungsabend des Festivals begeisternd deutlich. Die Inszenierung von Lotte de Beer hat enormen Drive. Die Splatter-Ästhetik der Ausstattung erschöpft sich allerdings noch vor dem tragischen Ende.
Hohe musikalische Qualität
An der Differenz zwischen Form und Inhalt hat sich im 19. Jahrhundert kaum einer der Opernschaffenden gestört. Verdi war schon als Dreißigjähriger in der Lage, eine kraftvolle und bühnenwirksame Partitur samt wunderschöner Passagen zu schaffen, was soll's, dass die Vorlage, nämlich "Hernani" von Victor Hugo, gar so grausig ist. Das Libretto, das Francesco Maria Piave daraus konstruierte, brauchte kein Wurf zu sein, der Komponist griff ohnehin in dieses ein. Sein Werk, ein Paradebeispiel für die ausgehende Belcanto-Ära, bietet Traumrollen für ambitionierte Tenöre, Baritone und Sopranistinnen und eine Herausforderung für das Regieteam.
Für Lotte de Beer zählt die 1844 uraufgeführte Oper zu den begehrten Aufgaben. Was die hohe Qualität der Musik betrifft, waren sich die Festspiel-Intendantin und die von ihr als Regisseurin engagierte Intendantin der Wiener Volksoper rasch einig. Zudem offenbart die Handlung jene Folgen missverstandener Ehrbegriffe, die in weiteren Festspielproduktionen - etwa "The Faggots and Their Friends Between Revolutions" von Philip Venables - thematisiert werden.
Kein Pomp, sondern Splatter-Ästhetik
Ein Glück, dass weder Lotte de Beer noch der Ausstatter Christof Hetzer nichts von jenem Pomp halten, der einem bei "Ernani"-Inszenierungen immer noch begegnet und der auch im Sommer 1987, als diese Oper erstmals auf dem Bregenzer Festspielprogramm stand, präsent war. Das 16. Jahrhundert, in dem die Geschichte um drei Rivalen verankert ist, weht gerade noch durch ein paar Kostümfetzen, das heißt, mit Wams und Reifröcken herein, das Setting ist zeitlos. Angedeutete Erdwölbung, ein paar Räume bzw. zerreißbare Wände aus Papier und Pappe sind bewährte Theatermittel, die reichen, wenn die Regie nichts anderes vorhat, als mit dem Rebellen Ernani, einem verstoßenen Adeligen, Herzog Silva und König Carlo die Absurdität des Festhaltens an überkommenen Ehrbegriffen, Macht- und Rachelust zu zeigen.
Dass alle drei Männer, die sich da selbst im Weg stehen, dieselbe Frau begehren, sorgt nicht nur für einen prickelnden Aspekt, die Regisseurin lässt etwa bei der Begegnung zwischen Carlo und Elvira nicht aus, dass die Gewaltbereitschaft ins Private reicht. Solche Momente tiefen Ernstes sind es, die ihr in der Personenführung immer wieder frappierend gelingen, obwohl sie nicht den leichteren Weg geht, der da hieße, die in der Musik immer wieder zum Ausdruck kommende Komik zugunsten der Tragik bzw. psychologischer Nachschärfung einmal einfach außer acht zu lassen.
Es wird getanzt, viel gekämpft, gefoltert und so viel Theaterblut auf weiße Wände gespritzt, bis sich dieser Splatter-Aspekt der Ausstattung völlig erschöpft. Leider gibt es doch ein paar Flauten in diesem stürmischen "Ernani", den Lotte de Beer dann aber konsequent ohne typische Romantizismen und mit dem Verweis auf Victor Hugos Vorlage enden lässt. Elvira sinkt nicht leblos über der Leiche ihres Ernani zusammen, sie greift zum Messer und der grausame Silva trinkt Gift.
Musikalische Klangdichte garantiert
Expressiv kraftvoll, mit schöner Phrasierung und leidenschaftlichem Ausdruck verleiht der Tenor Saimir Pirgu in der Titelrolle diesem "Ernani" jenen Glanz, den eine Festspielproduktion braucht. Das Duett mit Guanqun Yu (Elvira), bei dem sich die beweglichen Stimmen zueinander fügen, zählt überhaupt zu den musikalischen Höhepunkten der Produktion. Wobei die Sopranistin Guanqun Yu ein bezauberndes Pianissimo wie ein forderndes Temperament gleichermaßen zum Ausdruck bringt. Goran Jurić (Silva) gefällt gerade mit seinem mehr wendigen als mächtigen Bass. Und Franco Vassallo (Carlo) trimmt sein dunkles Baritontimbre in faszinierender Kompaktheit in Richtung Zynismus, den er in Mimik und Gestik zu zeigen hat.
Der Prager Philharmonische Chor erfüllt mit seiner Klangdichte die hohen Erwartungen. Tempobehandlung und Präzision von Enrique Mazzola am Pult der Wiener Symphoniker lassen diese frühe Verdi-Oper bei aller Differenzierung als Werk aus einem Guss erfahren. Das Premierenpublikum reagierte mit tosendem Applaus für die Musik, der sich beim Auftritt des Regieteams nur leicht reduzierte.