Sommerausstellung: Bregenzer Anti-Festspiele "Randspiele"
1972 brach Vorarlbergs Kultur in neue Zeiten auf. Hungernd nach zeitgemäßer Kunst organisierten "Vorarlberger Kulturproduzenten" damals zum ersten Mal die "Randspiele", die bis 1976 als Gegenentwurf zu den Bregenzer Festspielen neue Literatur, Musik, Theater, Kabarett, Film und Performances präsentierten. Die Stadt Bregenz würdigt das Festival von 14. Juli bis 4. September mit der diesjährigen Sommerausstellung "Randspiele. Erinnerung an einen kulturellen Aufbruch".
Vorarlberg war in den 1960er-Jahren kulturelles Entwicklungsland, die Kultur elitär und konservativ, man fürchtete sich vor dem Einfluss "Langhaariger". In Sittenstrenge verbot man Twisttanzen, Filme und Printmedien wie die "Bravo"; selbst das Landestheater musste geplante Stücke vorher vorlegen. "Geistiger Umweltschutz" nannte das der damalige Landeshauptmann Herbert Keßler (ÖVP). "Da war ein Loch und jeder hat es gespürt. Für junge Menschen gab es überhaupt nichts. Null!", wird die Vorarlberger Schriftstellerin Monika Helfer in der Bregenzer Schau zitiert. Der Geist von 1968 kam etwas verspätet, dann aber mit Wums in Vorarlberg an: 1972 stellte eine Gruppe, die sich selbst "Vorarlberger Kulturproduzenten" nannte, binnen weniger Monate ein Gegenprogramm zu den Bregenzer Festspielen auf die Beine.
Das legendäre und hochpolitische neue Festival entfaltete in Vorarlberg weitreichende Wirkung. Die "Randspiele" standen am Beginn vieler künstlerischer Karrieren, ob für Michael Köhlmeier, Monika Helfer, Ingrid Puganigg, Christian Mähr, Reinhold Bilgeri und Martin Walser oder den heutigen Galeristen Wolfgang Häusler, den Grafiker Reinhold Luger, Gottfried Bechtold, Tone Fink oder die Fotografin Friedl Kubelka. Zudem traten neben regionalen Musikern erstmals internationale Musikgrößen wie Chick Corea, Jan Garbarek und Friedrich Gulda in Vorarlberg auf. "Es ging um viel mehr als Kultur, es ging um Befreiung", zitierte die Künstlerin Ines Agostinelli, die die Ausstellung kuratierte, den Vorarlberger Kulturimpresario Willi Pramstaller.
Live-Performances, Konzerte und Lesungen
Veranstaltet wurden Live-Konzerte auf dem Gebhardsberg, Lesungen, auch im Dialekt, es gab Straßentheater und Performances. So rollte Klaus Göhling eine aufblasbare Kugel durch die Kaiserstraße und Wolfgang Häusler stellte Kleiderskulpturen in den Seeanlagen auf, die prompt angegriffen wurden. "Das Publikum hatte keine Erfahrung mit Kunst im öffentlichen Raum", so dazu Agostinelli. Sie trug für die Schau Zitate von damals Mitwirkenden zusammen. Neben einer historisch-kulturpolitischen Einordnung, aufbauend auf den Forschungen von Karl Schall, der das Buch "Feuersteine. Jugendprotest und kultureller Aufbruch in Vorarlberg nach 1970" publizierte, bietet die Ausstellung viel Kunst von damals, etwa Kurzfilme von Gottfried Bechtold, Zeichnungen von Tone Fink oder Michael Köhlmeiers Hörspiel "Drei im Cafe" (1975) sowie Konzertmitschnitte, die der heutige Musikproduzent Manfred Eicher, der 1969 das Plattenlabel ECM gründete, beisteuerte. Im Begleitprogramm finden sich Podiumsgespräche, Lesungen, Vorträge und Führungen mit Persönlichkeiten, die die "Randspiele" mitgestalteten und -prägten.
Eine davon ist der Sozialwissenschafter Kurt Greussing. "Die Randspiele waren ein Schrittmacher, der Initiativen anregte, das Programm weiterzutragen", betonte er und nannte etwa das Feldkircher Theater am Saumarkt, die "Wäldertage" oder den Dornbirner Spielboden. Die "Randspiele" seien ein Beispiel für kulturelle Selbstermächtigung. Man müsse Minister Fred Sinowatz (SPÖ) bis heute dankbar sein für seine Subventionszusage, die die "Randspiele" erst ermöglichte. Die Stadt unter dem aufgeschlossenen Kulturamtsleiter Oscar Sandner und das Land zogen schließlich nach. 300.000 Schilling kamen so für das erste Festival zusammen. "Das war unglaublich wenig Geld für unglaublich viel Programm", so Greussing. Die finanziellen Probleme blieben den "Randspielen" trotz hohen persönlichen Einsatzes und privater Zuschüsse erhalten. Nach internen Differenzen spalteten sich die Kulturproduzenten schließlich auf. Als der Bregenzer Stadtrat die Subventionen einstellte, endete 1976 die Zeit der "Randspiele".
Braucht es heute Randspiele?
Man wolle mit der Ausstellung auch die Frage stellen, welchen Aufbruch es heute in der Kultur brauche, so der Bregenzer Kultur-Stadtrat Michael Rauth (ÖVP). Im Zuge des Begleitprogramms will man die Fühler nach dem Verlauf der heutigen Ränder ausstrecken und sehen, ob eine Wiederbelebung möglich sei. Eine solche wolle man aber nicht "upside down" verordnen. Der Bregenzer Bürgermeister Michael Ritsch (SPÖ) dankte bei der Presseführung am Freitag den Mitwirkenden und ließ die turbulente politische Vorgeschichte der Schau unerwähnt: So lehnte der Bregenzer Stadtrat mit Stimmen der ÖVP und Grünen zunächst den von der SPÖ befürworteten Ausstellungsvorschlag von Kulturamtsleiterin Judith Reichart ab und entschied sich für Agostinellis Projekt, das eine Reaktivierung der "Randspiele" vorsah. Zuvor hatten ÖVP und Grüne Vorwürfe gegen Reichart erhoben, die sich bei Prüfung durch die Justiz als haltlos erwiesen. Das Konzept Agostinellis wurde in der Folge völlig überarbeitet, von neuen "Randspielen" blieb nun - zumindest bisher - wenig übrig.