Was ist los in Wien

Baselitz in der Albertina: Wie die Kunst auf den Kopf gestellt wurde

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Während das Kunsthistorische Museum noch bis 25. Juni mit der großen Frühjahrsausstellung "Nackte Meister" den 85. Geburtstag von Georg Baselilz feiert, lässt ab Mittwoch die Albertina den Jubilar hochleben.

Nicht großformatige Aktgemälde wie im KHM, sondern "100 Zeichnungen" unterschiedlichster Schaffens- und Stilperioden geben hier Einblick in das Œuvre dieses bedeutenden deutschen Künstlers, der mit seiner Motivumkehr die Kunstgeschichte radikal auf den Kopf gestellt hat.

 

Großzügige Schenkung

Grundlage der Schau ist eine "großzügige Geste" in Form einer Schenkung, wie Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder am Montag bei der Presseführung betonte. Die Werke stammen aus einem Konvolut, das Baselitz für sich behalten hatte. Sowohl die Albertina als auch das Partnermuseum der Ausstellung, The Morgan Library in New York, durften jeweils 50 aus knapp 200 Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen auswählen. 2021 wurde in Wien die Auswahl getroffen, jeweils abwechselnd ein Blatt von der Wiener und der New Yorker Abordnung gewählt.

Von 60er-Jahren bis jüngste Vergangenheit

Die grosso modo chronologisch präsentierte Ausstellung spannt sich von den 60er-Jahren bis in die jüngste Vergangenheit, führt die Vielfalt der Materialien von Bleistift und Tusche bis Aquarell und Pastell vor Augen und deckt damit im Prinzip die gesamte Karriere von Baselitz ab, der einen "fast einzigartigen Einfluss auf die Malereigeschichte der Nachkriegszeit" gehabt habe, betonte Schröder. Bekannt ist der Künstlertitan vor allem durch seine scheinbar verkehrt gehängten Motive.

"Flucht und Segen zugleich", wie Kuratorin Antonia Hoerschelmann zu bedenken gab. Denn einerseits sei ein hoher Wiedererkennungswert gegeben, andererseits werde dabei oft vergessen, dass dahinter ein hochkomplexer intellektueller Prozess stehe. Denn Baselitz habe nach einem Weg gesucht, von der gegenständlichen Malerei in die Abstraktion zu finden, ohne den Gegenstand völlig aufzugeben. Dadurch wurde er zu einem "Bahnbrecher einer neuen expressiven Malerei", ein "großer Formalist", wie der Hausherr schwärmte.

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Auf den Kopf gestellte Sujets

Erste Versuche in diese Richtung finden sich in den 60er-Jahren, die den Beginn der Schau dominieren. Baselitz, Jahrgang 1938, ging bereits in seinen Zwanzigern daran, in seinen "Frakturbildern" Motive zu zerlegen und die Bildfläche horizontal - rein optisch - zu zerschneiden. Schnell ist man dann bei jener Methode, die zur Trademark wurde: den auf den Kopf gestellten Sujets. Alltagsszenen und -gegenstände wie Landschaften, eine Flasche, eine lesende Frau oder ein Gebückter mit Stock werden durch die 180-Grad-Drehung zu Abstraktionen. "Es geht nicht um den Inhalt oder das Motiv, sondern um formale Kriterien", erklärte Hoerschelmann.

Der Parcours führt weiter zu rauen gestischen Kohlezeichnungen etwa der sogenannten Kampfbilder über leuchtend-farbige Porträts aus den 1980ern und 1990ern bis zu den "Remix"-Arbeiten, in denen der Künstler frühe Werke neu interpretiert, und den stark reduzierten Tuschzeichnungen aus vergangenen Jahren, die als figürliche Konturen schwerelos auf weißen Hintergrund zu schweben scheinen.

Edvard Munch und Baselitz

Kurz irritiert ist man angesichts einer Serie, bei der man sich kurz für Gemäldeentwürfen Edvard Munchs glaubt. So sehr erinnern die körperlosen Köpfe von Baselitz an jene des norwegischen Malerstars. Die "Munch-Köpfe", wie Schröder sie nannte, sind ein Beispiel dafür, dass sein Haus bei der Auswahl der 50 Papiere eher "in Wänden" dachte, also mit Blick auf eine Ausstellung bereits Werkgruppen im Auge hatte, während die Morgan Library - eine Institution, die weniger auf Präsentation ausgerichtet ist - eher für sich stehende Einzelbilder bevorzugte.

Die Baselitz-Schenkung, mit der im Übrigen laut Generaldirektor keine vertragliche Verpflichtung für Präsentationen und Publikationen, sondern lediglich ein Veräußerungsverbot verbunden ist, ist nur eine von vielen in den vergangenen Jahren. Die Albertina platz insofern aus allen Nähen. Nicht zuletzt wird um die Jahreswende neben Haupthaus und Albertina modern am Standort des früheren Essl-Museums ein dritter Standort eröffnet, der als Schausammlung der Kunst nach 1945 positioniert wird. Schröder ließ nun in einem aktuellen Bericht des Wochenmagazins "News" anklingen, dass darüber hinaus noch eine Dependance im Ausland kommen könnte.

Bei der heutigen Presseführung darauf angesprochen, waren Schröder keinerlei Details zu entlocken. Nur soviel: Es habe Anfragen aus mehreren europäischen und asiatischen (Kunst-)Metropolen gegeben, ob man sich vorstellen könne, dort einen Standort zu eröffnen. "Das prüfen wir", wobei dies eine Sache von Jahren sei und eine etwaige Realisierung noch einmal Jahre dauern würde. Als Generaldirektor werde er das Projekt, sofern es denn überhaupt zustande kommt, mit Sicherheit nicht mehr erleben, sagte Schröder. Sein Vertrag läuft Ende 2024 auf. Seine Nachfolge soll demnächst präsentiert werden.