AUT of ORDA live: Tabubruch als Lustprinzip
Warf man einen Blick in die Wiener Marx Halle am Samstagabend, dann würde man nicht glauben, dass es sich hier um das allererste Konzert einer neuen Band handelt. Ausverkauft sind die Karten, 5.000 Zuschauer:innen drängen sich in der Halle, die Altersgruppen sind bunt gemischt, das Geschlechterverhältnis ausgewogen.
Noch dazu Promis wie Otto Jaus, Philipp Hansa und Thomas Spitzer im Publikum, über der Menge schweben Kameras, denn das Spektakel wird obendrein live im TV (nämlich: Servus TV) übertragen. Gabi Hiller und Benny Hörtnagl von Ö3 moderieren, als Vorgruppe spielen Folkshilfe, die ja auch nicht gerade am unteren Breitengrad der Bekanntheit unterwegs sind.
Na servas, das muss ja eine ganz besondere neue Band sein, die an diesem Abend ihren Live-Einstand gibt.
Wenn das Altbekannte zum Neuen wird
Aber machen wir mal Butter (get it?!) bei die Fische: Wirklich neu ist diese "neue" Band eigentlich nicht. AUT of Orda lebt (neben der musikalischen Genialität von Daniel Fellner) von der Zugkraft ihrer beiden Frontmänner Paul Pizzera und Christopher Seiler, die in ihrem neuesten Musikprojekt kurzerhand die jeweils riesigen Fangemeinden von Pizzera & Jaus und Seiler und Speer zu einem Kollektiv verweben – da war der Erfolg ja eigentlich a priori a fixe G'schicht.
Macht nix, so genau hinterfragt man die "neue Gruppe"-Attitude an diesem Abend dann eh nicht, dafür ist die Stimmung viel zu gut, das Konzept viel zu unterhaltsam, die Liebe der Fans viel zu groß, die Songs viel zu Ohrwurm-tauglich.
Damit wir nicht vergessen, worum es hier eigentlich wirklich geht, wird dem Publikum anfangs mehrfach erklärt, wie einzigartig das Dargebotene ist: Denn das erste AUT of ORDA-Konzert findet im Rahmen der "Red Bull Show 100" statt, heißt: Fellner, Speiler und Pizzera hatten 100 Stunden Zeit, eine 100-minütige Show auf die Beine zu stellen. Dabei wurden sie in ein "Camp" (nicht im Dschungel, sondern ebenfalls in der Marx Halle) gesteckt und jede Minute gefilmt. Sogenannte "Challenges" gab es zwar, ansonsten hielt sich der Reality-TV-Faktor aber gottlob in Grenzen.
Im Grunde wurde man hier also nicht Zeuge eines simplen Konzerts, sondern eines medialen Spektakels eines Energy-Drinks-Konzerns, der in Sachen Marketing bekanntlich nicht auf den Mund gefallen ist. Und weil bei AUT of ORDA der Ausnahme- der Normalzustand ist, passt diese Art von Bühnendebüt wie die musikalische Faust aufs Auge. Weil AUT of ORDA is ois, aber fix ned normal.
Spektakel in der Marx Halle
So zugegeben marktschreierisch die gesamte "Red Bull Show 100"-Idee auch war, so sehr ging das Konzept schlussendlich auf: Immer wieder durch Szenen aus dem Camp der letzten Tage unterbrochen, untermauert mit Show-Challenges, die mit einem "Applausometer" bewertet wurden, gut gelaunt kommentiert von Hiller und Hörtnagl und einigen launigen Sagern von der Band selbst – das Sammelsurium aus TV-Event und Live-Konzert war rund, aber gleichzeitig eckig genug, um dem pulsierenden Wigl Wogl von AUT of ORDA gerecht zu werden.
Nicht, dass es das ganze Tamtam gebraucht hätte: der Saal kochte immer dann über, wenn AUT of ORDA auf der Bühne aufdrehten, sich "den Oasch aufrissen", wie Pizzera es stets so schön formuliert; Konfettiregen, Pyrotechnik und Videowall inklusive. Ein - oder zweimal vielleicht hat man sich sogar gewünscht, dass die Show nicht von den Moderator:innen unterbrochen wird, da dadurch der Flow etwas gestört wurde. Und auch Pizzera, Seiler und Fellner machten hin und wieder den Eindruck, als würden sie lieber gern weiter performen, als mittendrin Interviewfragen zu beantworten. Wie auch Pizzera selbst einmal in solch einem Interview-Moment durchblicken ließ: "I mog spün!"
Wehe, wenn sie losgelassen
Und g'spüt haben die drei an diesem Abend in der Marx Halle voll und ganz. Dass ordentlich Gas gegeben wird, war jedem klar, der Pizzera und Seiler kennt und sich auch die Songs von AUT of ORDA bereits zu Gemüte geführt hat. Doch auch, wenn die Lieder bereits am Smartphone oder PC krachen mögen, so ist AUT of ORDA eine Band, die erst live ("Wigl Wogl" ist ein großes Bühnen-Highlight!) so richtig zeigt, was sie kann und was in ihr steckt:
Seiler, Pizzera und Fellner feiern auf der Bühne den zusammen kreierten Wahnsinn, sprengen Genre-Grenzen sowie Kategorisierungen und zeigen sich frei von Zwängen massentauglicher (ja, Ironie!) Musik-Korsetts. "Alles ist erlaubt, wir lieben den Tabubruch!", scheint das Motto der Aura zu sein, in denen sich die drei selbstbewusst einbetten.
Besonders Seiler und Pizzera (der mit Motorrad auf die Bühne kommt!) scheinen es zu lieben, auf der Bühne so richtig die Sau rauszulassen und sich auf einer neuen. sehr frechen musikalischen Spielweise auszutoben. "AUT of ORDA ist zelebriertes Chaos", erklärte Fellner im events.at-Interview – und das erste Konzert des Trios ist der perfekte Beweis dafür.
Pophits in neuem Hip-Hop-Gewand
Dass Pizzera und Seiler AUT of ORDA als Gegenentwurf zu ihren Ur-Bands Pizzera & Jaus und Seiler und Speer kreieren, wird in jeder Sekunde deutlich, unter anderem dann, wenn Pizzera Text-Ausschnitte von "Unerhört solide" in einen stampfenden Rap umwandelt, Seiler als Rapper die Bühne betritt oder die Band ein Pizzera & Jaus / Seiler und Speer-Medley beinahe als Spiel mit Identitäten dem Publikum entgegenwirft: Texte der einen werden zur Melodie der anderen Band gesungen und umgekehrt – was überraschend gut funktioniert.
Genauso wie der Mix aus Humor, Gesellschaftskritik und Partystimmung, der zwar von den beiden Sängern bekannt ist, bei AUT of ORDA aber sehr viel rotziger anmutet. Beinahe alle Songs der Band sind stark HipHop-und Beat-lastig, was der heimischen Musikbranche einen dringend benötigten frischen Wind verleiht. Nicht nur einmal an diesem Abend kommen Erinnerungen an Fettes Brot auf, manchmal sogar an die EAV. (Und ja, ebenso an "Wetten, dass...?!", dank Challenges á la "Schafft ihr es, einen 100-köpfigen Chor auf die Bühne zu bringen?" Spoiler: Wette gewonnen!)
Viele Überraschungen
Dass AUT of ORDA bisher eigentlich nur eine Handvoll Songs veröffentlicht hat, tat dem Entertainment-Faktor keinen Abbruch, zu sehr war der Abend mit Überraschungen gespickt, zu sehr wissen die Bühnenprofis dieses Faktum zu umschiffen:
Da wurde zum Beispiel der Nineties-Hit "Freestyler" von Bomfunk MC in österreichischer Mundart (den die Band ohnehin mit großer Leidenschaft huldigt) gecovert, erwähntes Medley eingebaut oder sogar neue Songs, die kurzerhand im Camp (!) geschrieben wurden, vorgestellt – unter anderem die Gänsehand-Ballade "Nebel" (ja, die Jungs können auch ruhig!) oder natürlich der "Song für Österreich" namens "fix ned normal", der von Ö3 mit aller Kraft zur neuen Österreichhymne und "I am from Austria"-Nachfolge hochstilisiert wird. Die Chancen dafür stehen tatsächlich gut.
Ja, AUT of ORDA-Songs mögen mitunter die textliche Raffinesse von Pizzera & Jaus-Songs vermissen lassen, sind dafür aber Stimmungsbomber ohne jegliche Reue– und beweisen, dass Austropop auch ganz anders klingen kann als gewohnt.
Dass sich AUT of ORDA trotz diverser Spielereien nicht von Red Bull die Flügel verleihen lassen, sondern sich ihre eigenen verpasst haben, ist der Band hoch anzurechnen. Nur einmal ist's gehörig danebengegangen und da hat sich doch der Energy-Drink-Konzern durchgesetzt:
Als Special Guest war Jasmin Wagner alias Blümchen geladen, die eigenartig fehl am Platz in der ansonsten sehr authentischen Show wirkte (trotz Kurzmedley mit Ambros' "Blume aus dem Gemeindebau" – no kidding, aber sind wir an dieser Stelle wirklich noch überrascht?!) und bei so manchen im Publikum ein Fragezeichen im Gesicht hinterließ. Macht nix, es wäre kein Einstand ohne das eine oder andere Hoppala.
"Wir san AUT of ORDA, ready to go!", singen Pizzera, Seiler und Fellner. Nach diesem Abend besteht daran nicht der kleinste Zweifel. Das erste Album mit dem sinnigen Irrsinns-Titel "Das Empörium schlägt zurück" erscheint Anfang 2024. Umarmen wir das Chaos!