Wut und Rache: "Medea" in den Kasematten
Mit Franz Grillparzers "Medea" ist am Mittwochabend in den Wiener Neustädter Kasematten das "wortwiege"-Theaterfestival eröffnet worden: Nachhaltiger Beifall für das intensiv spielende Ensemble und die stringente Inszenierung von "wortwiege"-Leiterin Anna Maria Krassnigg.
"Medea - alles Gegenwart": So nennt Krassnigg ihre Fassung des dramatischen Gedichts, das den dritten Teil der Trilogie "Das goldene Vlies" bildet. Alles Gegenwart, und doch bleibt Krassnigg meist am Original, lässt den Text mit stupender Selbstverständlichkeit sprechen und meidet damit wohltuend jeglichen Anflug von deklamatorischem Pathos.
Die Wut einer Frau
Auf diese Weise ersteht ein psychologisch nachvollziehbares, analytisches Kammerspiel, getragen von einem feinen Netz aus subtilen Zwischentönen, beredtem Schweigen und klugen Details: wenn etwa Medea immer wieder ihre Zigaretten zückt und doch wieder wegwirft, weil erst am Schluss der große Brand ausbricht, oder wenn zwischendurch ein Gedicht von Ingeborg Bachmann (Liebe: Dunkler Erdteil) als Liedtext-Fragment eingewoben wird oder ein knappes "Okay" oder "Touché".
In der Titelrolle der psychisch verletzten, verstoßenen Gattin bringt Nina C. Gabriel genau jene Nuancen ein, die der Fassungslosigkeit und letztlich verzweifelten Wut einer Frau entsprechen, der man alles wegnimmt: ohne zu outrieren, keine Furie, sondern eine zutiefst Enttäuschte, fremd Gebliebene, verstärkt noch durch einen leisen Akzent. Sie hat keine Chance in diesem Land, man gibt ihr keine.
Rachsüchtige Mutter
Als Jason verkörpert Jens Ole Schmieder einen egozentrischen Mann, ebenfalls enttäuscht von einer Ehe, die ihm sichtlich nur Probleme einbringt, und nicht mehr bereit und fähig zu Loyalität. Peter Scholz drückt als König Kreon seine joviale Dominanz ganz ohne Krone mimisch und körpersprachlich aus, eher smarter Boss als Regent, mitsamt den weggelächelten Verlegenheiten: Wenn er im unpassenden Moment lacht, ist das sogar seiner liebenswürdig-heiteren Tochter Kreusa (sehr facettenreich: Saskia Klar) peinlich.
Die Kinder von Jason und Medea agieren in Projektionen als Jugendliche (Nico Dorigatti, der gerade im Theater in der Josefstadt den Lucky in Claus Peymanns Inszenierung von Samuel Becketts "Warten auf Godot" spielt, und Flavio Schily), die sich dem heiteren Leben widmen, Fußball spielend, dem Alkohol zusprechend, sich mit Kreusa vergnügend. Medea wird zur rachsüchtigen Mutter, der die von den Söhnen eingeforderte Solidarität verweigert wird und die ihnen deshalb die Zukunft raubt.
Festivalmotto "fragil/fragile"
Christian Mair steuert die Video- und (diskreten) Musikeinspielungen unaufdringlich, aber atmosphärisch wirkungsvoll bei, Andreas Lungenschmid hat mit sparsamen Mitteln eine funktionierende Bühne in den Katakomben der Kasematten gestaltet. Ein dichter Abend. "Touché", möchte man mit Kreon sagen.
Unter dem Festivalmotto "fragil/fragile" folgen noch weitere Produktionen - "Schlachthof" von Slawomir Mrozek (ab 28.2.) sowie Gastspiele des Theatre Majaz und des Acco Theatre Center (Israel) -, außerdem Gespräche u.a. mit Lisz Hirn, Wolfgang Müller-Funk und Vladimir Vertlib.
(Von Ewald Baringer/APA)