Calle Fuhr auf der Bühne im Volkstheater

© Marcel Urlaub / Volkstheater

Theater Wien

Reise ins "Signa-Wunderland" im Volkstheater

Ob man wollte oder nicht, man konnte sich in den vergangenen Wochen seinem Namen nicht entziehen: Der Tiroler Immobilieninvestor und (bisherige) Multimilliardär René Benko bestimmt aktuell die heimischen Schlagzeilen. Unzählige Zeitungsberichte, Analysen, TV-Dokus und Podcasts handeln die Insolvenz von Benkos Mega-Konzern Signa ab, sprechen gar von der größten Pleite der Zweiten Republik. 

Da stellt sich die Frage: Wozu braucht es noch ein Theaterstück, wurde über die Causa nicht schon alles gesagt? "Nein, ganz im Gegenteil", meint Calle Fuhr. Der deutsche Regisseur, Autor und Schauspieler hat gemeinsam mit Journalist:innen der Rechercheplattform "Dossier" die vielen Puzzleteile des Signa-Debakels zusammengetragen und ins Volkstheater gebracht. Und das öffentliche Interesse ist offensichtlich nach wie vor vorhanden: Die Premiere am Samstagabend ist ausverkauft, musste aufgrund der starken Nachfrage von der Dunkelkammer auf die große Bühne hochverlegt werden. 

Der Tiroler "Wunder-Wuzzi"

"Aufstieg und Fall des Herrn René Benko" handle aber nicht nur vom Werdegang Benkos, sondern "von einem System, dass einen René Benko überhaupt möglich gemacht hat," erklärt Calle Fuhr. Begonnen wird mit Benkos Schulzeit und ersten Geschäftsversuchen, "für alle, die ihn noch nicht kennen." Es geht nach Innsbruck, wo "der René" schon sehr früh einen Plan hatte: Reich werden. "Während andere Kinder mit der neuesten Pokémon-Edition spielten, interessierte sich der René für Immobilien", beschreibt Fuhr die Anfänge Benkos "vom Schulabbrecher zum Wunder-Wuzzi", dessen erklärtes Ziel das "Beton-Gold" war. Das Publikum taucht mit Fuhr in den Immofinanz/AWD-Kosmos ein, in das lukrative Geschäft ausgebauter Dachböden in der Innsbrucker Innenstadt, mit dem Benko "sein Handwerk lernte". 

Ganz alleine bestreitet Fuhr den Abend auf der Bühne, unterstützt von zwei Leiwänden, die seine Erläuterungen mit Schlagzeilen, Bildern, Clippings und Video-Beiträgen untermalen. Trocken oder gar langatmig geht es dabei keine Sekunde zu, Fuhr macht immer wieder humorvolle Seitenhiebe, bezieht sogar ab und an das Publikum aktiv mit ein und stellt den Zuseher:innen Fragen. 

Causa Benko: "Simply the best"

Der Abend ist eine Mischung aus Theater, TED-Talk und Lecture Performance. Fuhr meistert die enorme Text-Menge des komplexen Inhalts mit Bravour, erklärt verständlich die komplizierten Verstrickungen der "Immofina", aus der nach weiteren Immobilien-Coups (siehe etwa Kaufhaus Tirol) schließlich die gigantische Signa Holding mit all ihren Tochtergesellschaften hervorging. Die berühmt-berüchtigten Signa-Beiräte – Alfred Gusenbauer, Hans Peter Haselsteiner, Susanne Riess-Hahn und Co. – bekommen ihren Auftritt als die "Signa-Boys" (und ja, es sind fast nur Männer), die Benko in den Zehnerjahren als wichtige Connections verschlossene Türen öffneten, insbesondere in Regierungskreise. Tina Turners Song "The Best" ertönt, während auf der Leinwand Fotos von Benko mit prominenten Gesichtern aus Politik und Entertainment eingeblendet werden (auch mit Turner selbst).

Mehr und mehr bekommt das Publikum illustriert, wie unfassbar schnell das "Immobilien-Imperium" wuchs – und wie René Benko sich nach einem Korruptionsurteil im Jahr 2012 aus der Signa-Führung zurückzog, nur um selbst als Beirat-Vorsitzender die Entscheidungsgewalt zu behalten. Es ist eine Reise ins "Signa-Wunderland", in dem scheinbar alles möglich ist. Im passenden Videoclip hat auch "Dossier"-Reporter Ashwien Sankholkar eine amüsante Rolle und erklärt Fuhr und dem Publikum Benkos überaus kreative Immobilien-Geschäftsmodelle.

Apropos Rolle: Fuhr schlüpft ebenfalls immer wieder in diverse Rollen, impersoniert etwa seinen früheren Mathelehrer "Herrn Hauke", um dem Publikum (alias "Klasse 6A") im herrlichsten Rheinländisch durch mathematische Beispiele zu veranschaulichen, wie man "so richtig Cash macht" und den Wert von Immobilien wie aus dem Nichts immens steigen lassen kann – eine Formel, die scheinbar auch die Immobilien-Gutachter Benkos gut kannten, wie Herr Hauke nahelegt.

Standing Ovations für Calle Fuhr im Volkstheater

Die Spannung bleibt bis zuletzt erhalten, Fuhr führt die Zuschauer:innen durch die Signa-Geschäftemacherei wie durch einen gut geschriebenen Thriller, in dem auch Benkos Einstieg in den Handel, der die Massenkündigungen bei der deutschen Kaufhauskette Galeria und bei Kika/Leiner zur Folge hatte, ein Kapitel ausmacht. 

Bis im großen Finale das Kartenhaus schließlich in sich zusammenfällt, das Unternehmen "zu Tode saniert" ist: Wir erreichen die Gegenwart, die Signa meldet 2023 Insolvenz an. Fuhr blendet eine schier endlose Liste an Namen und Unternehmen ein, denen die Holding nun Unsummen schuldet, und fragt: Wie konnte die Signa Milliarden an Schulden machen, ohne, dass jemandem etwas aufgefallen sei? Fuhr nennt es "Bilanz-Magie" – und spricht auch den Anwalt eines der Signa-Beiräte (Namen werden nicht genannt) an, der sich bei der Premiere im Publikum befindet. Der Klient habe seine Email-Adresse und könne jederzeit auf die Anfragen antworten, so Fuhr. 

Am Schluss haben auch wirtschaftlich Nichtkundige einen Überblick, wie, was, wann, warum die Signa-Pleite ihre horrenden Ausmaße nahm. Es bleibe nach all dem vielleicht ein Gefühl der Schadenfreude für René Benko, aber: "Benko hat im Grunde nichts anderes gemacht als viele andere Immobilienfirmen", so Fuhrs Fazit. Eine weitere Signa sei somit "jederzeit möglich", weshalb der Autor am Ende die Politik in die Pflicht nimmt und schärfere Hebel und Sanktionen fordert, um "einen neuen René Benko" zu verhindern. Es folgt tosender Schlussapplaus, den Calle Fuhr auch an jene Journalist:innen richtet, die ihm halfen, die komplexe Causa aufzuarbeiten. Für Fuhrs Leistung gibt es vom Publikum nach den knapp eineinhalb Stunden Standing Ovations. 

Alle weiteren Termine von "Aufstieg und Fall des Herrn René Benko" bis Ende April sind bereits ausverkauft - zusätzliche Termine seien aber in Planung, verspricht das Volkstheater.

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