Neuwirth spielt "Luziwuzi" – ganz ohne Conchita
Während Sisi und Franz Joseph in Ausstellungen, Filmen und Serien schon seit Jahrzehnten beständig fröhliche Urständ feiern, gibt es mit Kaiserbruder Ludwig Viktor einen Habsburger, der davon unbetroffen weiterhin weitgehend ein Schattendasein fristet. Die nach heutigem Verständnis queere, familienintern Luziwuzi titulierte historische Persönlichkeit holen nun Ruth Brauer-Kvam als Regisseurin und Autorin sowie Conchitas Alter Ego Tom Neuwirth vor den Vorhang.
Geschichte, die nicht besprochen wird
"Luziwuzi. Ich bin die Kaiserin" lautet der Titel des als "musikalisch-theatralisches Happening" avisierten Abends im Wiener Rabenhof-Theater, der am Donnerstag Uraufführung feiert und das Schauspieldebüt für den 35-jährigen Tom Neuwirth bedeutet. Vor der Premiere sprachen Brauer-Kvam und Neuwirth über Geschichte, die unter den Teppich gekehrt wird, wie Celine Dion Tom Neuwirths Schauspielkarriere verhindern könnte und die Frage, warum Menschen sich heute noch über nackte Körper aufregen können.
APA: Wie sind Sie als Autorin auf die Figur des Luziwuzi gestoßen?
Ruth Brauer-Kvam: Ich habe vor einigen Jahren für eine Inszenierung des "Reigen" von Schnitzler recherchiert und wollte dabei "Die Hure" mit einem Mann besetzen. So bin ich auf die Frage gestoßen, wie es damals für Menschen mit anderen sexuellen Neigungen war. Und als mir im Zuge dessen ein Foto von Luziwuzi untergekommen ist, war es aus für mich: Ich bin ins Rabbit Hole gesprungen und konnte nicht mehr aufhören, alles über ihn zu lesen, was ich gefunden habe.
APA: Was ja nicht allzu viel ist. Denn trotz aller Habsburg-Nostalgie kennt die Person des Ludwig Viktor heute kaum jemand...
Brauer-Kvam: Er hat ja auch nicht wirklich etwas gemacht - Länder erobert oder auf dramatische Weise Kinder verloren. Er war einfach eine schillernde Figur, ein mutiger Mensch in seiner Zeit.
Tom Neuwirth: Und man darf nicht vergessen, dass ja auch alles unternommen wurde, damit seine Geschichte unter den Teppich gekehrt wird. Dass er seine Tagebücher am Ende verbrennen lässt, gehört da auch dazu. Und nach seinem Tod gab es dann viele Jahrzehnte, die - vorsichtig formuliert - nicht besonders progressiv waren. Aber jetzt, da wir anfangen, über Geschlechterrollen zu sprechen, wird ein Mensch wie er hochinteressant! Deshalb waren wir uns auch ganz schnell handelseinig, als die Anfrage von Ruth kam.
APA: Sie hatten Tom Neuwirth noch nicht im Kopf, als Sie das Stück geschrieben haben, richtig?
Brauer-Kvam: Ich hatte die erste Fassung fertig, wusste aber nicht, wer die Rolle spielen könnte. Und dann hatte (Rabenhof-Direktor, Anm.) Thomas Gratzer die geniale Idee, dass das Tom sein könnte. Wir hatten dann ein erstes Treffen, und ich war verliebt. (lacht)
>>Auch spannend: Theaterpremieren im Februar.
APA: Wie weit haben Sie die Urfassung dann noch für ihn adaptiert?
Brauer-Kvam: Wir haben die Zahl der Musiknummern deutlich gesteigert. Aber ansonsten mussten wir nicht viel ändern, weil uns klar war, dass Tom alles kann.
APA: War es für Sie beiden ein Thema, dass die Person Tom Neuwirth den Charakter Luziwuzi mutmaßlich überstrahlen dürfte? Oder war das auch ein Ziel?
Neuwirth: Für uns war das nie ein Thema. Erst die Reaktionen von außen gingen dann immer in die Richtung Conchita. Aber wenn man Conchita erwartet, wird man enttäuscht. Die kommt nicht einmal im Ansatz vor!
Brauer-Kvam: Wir wissen ja einfach nicht, wer die Person auf der Bühne ist, die einen Traum träumt. Ist es Luziwuzi, der sich Tom erträumt? Oder umgekehrt? Es ist ein Abend für Tom und ein Abend zur österreichischen Geschichte. Es ist eine Revue und es ist Theater. Das Ganze hat eben viele Ebenen.
APA: Bedeutet das für Sie, dass es "Luziwuzi" nur mit Tom Neuwirth geben kann? Oder hat das Stück auch ein Leben nach ihm?
Brauer-Kvam: Für mich kann das nur mit Tom leben. "Luziwuzi" ist für diesen Moment und hier gemacht.
Neuwirth: Und selbst wenn es mal jemand anderes spielen sollte, bleiben wir auf immer die Original-Spice-Girls der Uraufführung! (lacht)
APA: Anders als die Spice Girls mussten Sie für das Stück ja aber einen ordentlichen Textapparat internalisieren. Wie haben Sie das Lernen gestaltet?
Neuwirth: Die Ansage von Ruth war: Ich kann euch nicht beim Textlernen zusehen, wenn die Proben beginnen. Und ich liebe das. I'm responding a lot to Strenge. So habe ich an Weihnachten mit meinen Eltern Text gelernt. Ich war halt immer schon ein bisschen ein Streberlein.
APA: Und ist jetzt für Sie ein Knopf aufgegangen? Ist die Schauspielkarriere für Sie nun eine Option, oder bleibt es beim einmaligen Projekt?
Neuwirth: Da durchlaufe ich so verschiedene Phasen. Vor den Proben dachte ich: Das kann ich. Dann ging es los und ich dachte mir: Was mach ich hier? Es gibt schon einen Grund, warum das Leute studieren! Aber mittlerweile mache ich es mir immer mehr zu eigen und merke, dass es mir richtig Spaß macht. Ich versuche, den Prozess zu genießen und mich nicht mit Selbstzweifeln zu zermartern.
Brauer-Kvam: Tom ist einfach ein Mensch, der morpht in alle möglichen Figuren und Emotionen. Es ist immer gefüllt mit Fantasie, Ekstase und Genius. Das ist das Theatralische an ihm. Deshalb ist es auch absolut wichtig, dass Tom weiter Theater spielt!
Neuwirth: Ich habe auch wirklich Bock drauf! Das Theater ist ja doch eine ganz andere Community als das Musikbusiness. Aber das hängt natürlich immer auch von den Möglichkeiten ab. Wenn in zwei Wochen Celine Dion anruft, dann reden wir nochmal. (lacht) Ich lasse mich da einfach treiben.
APA: Wohin es Sie heuer auch schon getrieben hat, war die Kulturhauptstadt-Eröffnung in Bad Ischl. Was da bis heute vor Ort heiß debattiert ist, war allerdings nicht Ihr umjubelter Auftritt, sondern der "Pudertanz", bei dem Choreografin Doris Uhlich mit Menschen nackt getanzt hat, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen...
Neuwirth: Geh bitte, es ist so boring. Aber es regt die Leute auf, weil sie Angst vor Nackten haben, weil sie sich vor der Realität des Lebens fürchten. Sie haben Panik davor, sich und ihr Leben zu öffnen, weil sie überfordert wären damit, ihr Weltbild neu zu justieren. Sich aufzuregen ist einfacher, als sich selbst zu hinterfragen und sich zu überlegen, warum einen etwas ärgert. Insofern ist die Aufregung leider keine Überraschung.
APA: Zugleich regt sich über Sie - anders als in den Anfangsjahren von Conchita - niemand mehr auf, und Sie sind Everybody's Darling. Ist das ein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft?
Neuwirth: Ich weiß nicht. Das ist bei mir ein wenig wie bei Luziwuzi. Ich bin entertaining, nicht wahnsinnig unsympathisch. Und wenn man dann vielleicht auch noch "etwas erreicht" hat, dann wird das plötzlich wichtiger als das ganze Drumherum. Könnte man so nicht einfach mit allen Menschen umgehen? Aber das traut sich die Mehrheit schon wieder nicht.
(Martin Fichter-Wöß/APA)
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