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Wiener Staatsoper: Dornröschen

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Gilt Dornröschen den einen als vollkommenstes Gebilde im Corpus der russischen Ballette, so öffnet es zugleich aber auch vielfältige Fragen und behält seine Durchlässigkeit auch für neue Interpretationen nicht zuletzt durch das ihm zugrundeliegende Märchen: eine Geschichte über das Erwachsenwerden, die Entwicklung eines Mädchens zur Frau, das Hereinbrechen einer Feenwelt in den Alltag an einem Königshof, der Kampf des Hellen gegen das Dunkle, der Zeit gegen das Böse. Am Ende erscheint die »andere« Welt, die in das Leben von Prinzessin Aurora und ihrer Eltern intervenierte, säkularisiert in einem festlichen Theater – so die Version Petipas.

Martin Schläpfer begeisterte sich bereits als Student an der Londoner Royal Ballet School für das opulente Tanzmärchen: »Dornröschen war das klassische Ballett, das ich mir in London immer wieder und am meisten angesehen habe mit Besetzungen wie Jennifer Penney und David Wall, Lynn Seymour, Rudolf Nurejew und vielen anderen«, berichtet er. »Später, als ich selbst Tänzer war, war der Blaue Vogel eine meiner schönsten und faszinierendsten Rollen. Losgelassen hat mich dieses Stück nie.« Und so beschäftigt er sich schon seit langem mit dem Gedanken, ein Dornröschen zu choreographieren. »Ich finde die Musik umwerfend«, bekennt er, »und dann habe ich mir doch zuerst den Schwanensee vorgenommen. Ich liebe alle drei Tschaikowski-Ballette – auch den Nussknacker –, so unterschiedlich sie sind. Was mich an Dornröschen fasziniert, ist das Zusammenspiel von Stoff, Musik und Rezeption: zum einen die Partitur Tschaikowskis und natürlich das Märchen wie es in den Büchern von Perrault und den Brüdern Grimm steht, zum anderen aber auch, was als sogenanntes ›Ballett-Original‹ in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer oft regelrecht eingefräst ist. Zwischen diesen Koordinaten suche ich einen Weg, der nicht mit allem brechen will, was da ist, aber doch etwas anderes ist als nur eine weitere Version ›nach Marius Petipa‹.«

Wie bereits seinen Schwanensee möchte Martin Schläpfer Dornröschen als Schauspiel denken, »als echte Handlung, die den Figuren permanent einen Text liefert«, auch wenn große Teile der Partitur als pure Tänze konzipiert sind. An die Figuren, wie sie das Ballettlibretto zeichnet, hat er viele Fragen: »Wie ist – trotz aller Helligkeit – die tiefere Beziehung Auroras zu ihren Eltern, dem König und der Königin, die für mich ganz klar Hauptrollen sind, die nicht nur repräsentieren, sondern viel zu tanzen haben werden? Könnten die Feen elfenhafter sein, aus einer anderen Welt als der der Menschen entstammen? Ist Carabosse wirklich böse oder eher eine missverstandene Frau, tiefgründig, vielschichtig, weise, eine Figur, in die man auch Schönheit und Wärme legen könnte? Und eine zentrale Frage: Was bedeutet der immense Zeitsprung von 100 Jahren zwischen dem ersten und dem zweiten Akt – für die Handlung, die Figuren, den Tanz?«