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Musicals Österreich

Zwischen Liebe und Lust: "Phantom" begeistert Publikum

Der Nebel der Erinnerung hängt in der Anfangssequenz von "Das Phantom der Oper" nicht nur vor der Bühne des Raimund Theaters (in Form eines hauchdünnen Gaze-Streifens), sondern auch in den Köpfen des Publikums: Wird sich die (für Wien) neue Inszenierung wirklich so anders gestalten? Wird man das 1986 in London "geborene" Phantom überhaupt noch als solches erkennen?

Bewährter Charme im neuen Gewand

Doch schon erstrahlt der berühmte Kronleuchter zu den ersten Takten der Titelmelodie und es wird deutlich, dass die Zuseher:innen genau das bekommen werden, was sie sich erhoffen: den gewohnten "Phantom-Charme" mit sanfter Modernisierung. Sanft, weil natürlich nicht an der Musik zu rütteln ist, die immer noch für hartnäckige Ohrwürmer sorgt. Die Story bleibt auch wie gehabt: Das Publikum folgt der jungen Sopranistin Christine Daée, die sich zwischen Lust (Phantom) und Liebe (Raoul) entscheiden muss.

Das sensible Phantom

Interessant ist, dass die Motive des Phantoms (gespielt von Anton Zetterholm) aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Er ist nicht mehr nur der liebestolle Stalker, der sich in eine hübsche (und wohlklingende) Frau verguckt hat. Vielmehr ist er ehrlich an dem Talent Christines interessiert und versucht, dieses zu fördern. In der berühmten Szene "Musik der Dunkelheit" will der Operngeist seine Angebetete nun nicht mehr zur Heirat zwingen, sondern ihr klarmachen, dass sein musikalisches Schaffen ohne ihre Stimme keinen Sinn ergibt.

Anton Zetterholm, der Musicals-Fans bereits aus "Elisabeth" und "Tanz der Vampire" bekannt sein dürfte, spielt das missverstandene musikalische Genie mit einer Zerbrechlichkeit und Inbrunst, die fast schon an die Darbietung des ersten Phantoms aller Zeiten – Michael Crawford – erinnert.

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Christine, gefangen im Liebesdreieck

Im Umkehrschluss wirkt Christine Daée (gespielt von Lisanne Clémence Veenemann) emanzipierter. Choreografisch findet dies in der Szene "Der letzte Schritt" seinen Höhepunkt: im verführerischen Duett zwischen ihr und dem Phantom dominiert sie den Tanz und ihren Meister. Dass Lloyd Webber das "Phantom" für seine damals frische Ehefrau Sarah Brightman geschrieben hat, erkennt man unschwer daran, dass Christine in rund 90 Prozent der Laufzeit zu sehen und zu hören ist. Veenemann, die in diesem Stück ihr Wien-Debüt gibt, ist der Aufgabe mehr als gewachsen. Sie gibt ihrer Figur einen nicht zu aufdringlichen Sopran, der aber in den richtigen Momenten für Gänsehaut sorgt.

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Lachen ausdrücklich erwünscht

Komplettiert wird das Liebesdreieck von Roy Goldman in der Rolle des Raoul, Vicomte de Chagny. Bis vor kurzem war dieser noch im  Ronacher als "Phoebus de Martin" in "Der Glöckner von Notre Dame" zu sehen. Nun stellt er als zunächst unbedarfter, dann als äußerst beunruhigter Vicomte das Leben von Christine auf den Kopf.

Seine spritzige Darbietung zeigt, dass das neue "Phantom" nicht (nur) als Liebesschnulze beim Publikum landen möchte. Vielmehr gibt sich das Musical als humorvolle Persiflage auf die Welt hinter der Bühne. Für lustige Momente sorgen dabei die zwei Chefs des Opernhauses, Monsieur André (Rob Pelzer) und Monsieur Firmin (Thomas Sigwald) sowie La Carlotta (Milica Jovanovic). Letztere mauserte sich am Premierenabend mit ihrer charismatisch-komischen Art zum wahren Publikumsliebling.

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Mehr Feuer, mehr Action

Liebe, Lachen  –  was fehlt noch in der Dreifaltigkeit der Unterhaltung? Action! Und davon gibt es im "Phantom der Oper" reichlich. Durch das neue Bühnenbild, welches sich kunstvoll mit Licht und Schatten spielt, ist ein agiler Wechsel der Schauplätze möglich geworden. So stehen die Figuren häufig mit einem Fuß noch in der letzten Szene, während sich schon der nächste Ort öffnet. Das Phantom selbst hat außerdem einige Feuertricks auf Lager, die im Publikum für so manchen Schreckmoment gesorgt haben.

Für den größten und tatsächlich ungekünstelten Aufschrei sorgte jedoch der fallende Kronleuchter – und das, obwohl dessen Sturz gen Publikum mittlerweile hinlänglich bekannt sein dürfte.

Standing Ovations und Verlängerung

Seit der deutschsprachigen Premiere von "Das Phantom der Oper" 1988 im Theater an der Wien sind Jahrzehnte vergangen und trotzdem nimmt der Bann des Operngeistes nicht ab. Auch das 2024er-Premieren-Publikum im Raimund Theater musste förmlich mit dem Zuziehen des Vorhangs von den nicht enden wollenden Standing Ovations "abgehalten" werden.

Über 120.000 verkaufte Tickets, fast keine Restplätze bis Juni – und das noch vor der offiziellen Premiere am Freitag. Kein Wunder also, dass das "Phantom" auch im Herbst 2024 in Wien zu sehen sein wird. Und wer weiß, wie lange danach …

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