© Theater Arche

Theater Wien

Die Wiener Theater Arche lädt zur Irrfahrt: "Odyssee 2021"

"Odyssee 2021" ist ein Stationentheater, das außerhalb des Hauses beginnt und danach in fünf Akten und an vier Schauplätzen durch das Theater führt. Mit 15 Darstellerinnen und Darstellern und drei Stunden Spieldauer ist es eine veritable Großproduktion in dem kleinen Theater.

Homers "Odyssee" als Roter Faden

Die Ambitionen des Projekts sind enorm. Ihm sei die Fülle von Jahrestagen des Jahres 2021 aufgefallen, so Kavin: ein Jahr Corona, zehn Jahre Fukushima, 20 Jahre 9/11, aber auch die Todestage von James Joyce (80) und Dante Alighieri (700) oder der 200. Geburtstag von Fjodor Dostojewski. Daraus habe er ein interdisziplinäres Kunstprojekt entwickeln wollen, für das er Homers "Odyssee" als Roten Faden genommen habe. Die zählt zu den größten Epen der Menschheit und bietet einen schier unerschöpflichen Fundus an Geschichten. Das Grundproblem der "Odyssee 2021" ist aber: Es wird keine Geschichte erzählt.

Irrfahrt auf der Theaterbühne

Was für eine Materialfülle! Man begegnet an dem Abend neben der Odyssee (episodenweise auch im griechischen Original) u.a. "Ulysses", "Verbrechen und Strafe" und der "Göttlichen Komödie". Rechtzeitig erkannte Kavin die männliche Dominanz und holte renommierte österreichische Autorinnen "als Gegenpol zu den männlichen Granden der Weltliteratur" ins Boot: So haben Theodora Bauer, Margret Kreidl, Lydia Mischkulnig, Sophie Reyer, Kathrin Röggla, Marlene Streeruwitz und Miroslava Svolikova kurze, monologische Texte für die Produktion beigesteuert.

Die großartige und sicher nicht einfach umzusetzende Idee verpufft in der Durchführung. Die Texte bleiben Stückwerk, Flickwerk, zerrissen und nochmals neu ineinandergefügt. Als Leuchtturm der Orientierung ragt nur Amanda Gorman heraus: Auszüge aus ihrem Inaugurationsgedicht bringt der junge Eike N.A. Onyambu in der typischen Weise der Spoken Word Poetry im englischen Original.

"Odyssee 2021" als Gesamtkunstwerk

Die Premiere begann mit einer Gruppen-Performance vor dem nahe Haus des Meeres. Hier begegneten die Zuschauer erstmals dem titelgebenden griechischen Helden: Claudio Györgyfalvay wird als Odysseus den ganzen Abend durch die Szenen irrlichtern und mit seinen überraschenden Auftritten (mal auch durch ein Außenfenster) für ein verbindendes Element sorgen. Gemeinsam mit Pia Nives Welser und Marc Illich ist er auch für die Choreografien des Abends verantwortlich: Tanz, einzeln und in der Gruppe, ist ständig präsent. Die "Odyssee 2021" ist als Gesamtkunstwerk angelegt. Auch Musik spielt eine Rolle. Was sich Ruei-Ran Wu u.a. für ein auf dem Boden des Theatersaals gestrandetes Klavier überlegt hat, bezirzt - glücklicherweise ohne dass man (wie Odysseus' Gefährten) von Zauberin Kirke in Schweine verwandelt würde.

Theater Arche spielt an mehreren Schauplätzen

Nach dem gemeinsamen Weg zum Theater werden die Zuschauer in drei Kleingruppen eingeteilt. Drei verschiedene Schauplätze warten auf ihren Besuch: Im Foyer hat Ausstatterin Helena May Heber ein antikes Fadenlabyrinth installiert, auf der Hinterbühne ein von "Verbrechen und Strafe" inspiriertes verspiegeltes Boudoir eingerichtet, in dem sich Nagy Vilmos als Leopold Bloom SM-Spielen unterwirft, und in der Kantine ein "Irish Pub" installiert, in dem aber nicht Bloom, sondern Raskolnikow über sein Schicksal räsoniert. "Da es sich bei der Odyssee um eine Irrfahrt handelt, hat der Regisseur auch die Ausstatterin bewusst in die Irre geführt", liest man auf dem Programmzettel. Über die stetige Verwirrung hilft die Ausgabe von alkoholischen und nicht-alkoholischen Getränken hinweg. Jeder Besucher erhält einen Getränkebon, den es im richtigen Moment einzulösen gilt. Eine deklarierte Pause gibt es während der drei Stunden der "Odyssee 2021" nicht.

ZuschauerInnen fühlen sich wie Odysseus ...

Zweimal treffen die Besuchergruppen im großen Theatersaal aufeinander und dürfen entlang der vier Wände Platz nehmen, im zweiten Akt, der mit Dantes Inferno konfrontiert, und im über einstündigen Schlussakt, in dem alle Motive noch einmal miteinander verwoben und mit den neuen Monologen von vier Odyssas, zwei Penelopes und der Joyce-Tochter Lucia konfrontiert werden. Hier heißt es aufpassen, will man nicht die wenigen Windstöße der Gegenwart verpassen, die einem auf dieser Theaterreise um die Ohren wehen. "Kann man Grönland noch retten? Wann wird mit dem Kapitalismus endlich Schluss gemacht?", fragt etwa Charlotte Zorell in einer Passage von Sophie Reyer, während Elisabeth Halikiopoulos mit Kathrin Röggla im Pandemie-Meer an Zoom-Inseln vorbeigetrieben wird.

In diesen Momenten hat man auf der Irrfahrt ein konkretes Ziel vor Augen, das einem Orientierung gibt. Doch am Ende geht es uns ZuschauerInnen wie weiland Odysseus: Viel erlebt, wenig ausgekannt.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare