Bei Holzingers Festzug trafen Körper und Maschinen aufeinander.

© APA - Austria Presse Agentur

Wiener Festwochen

Nackte Haut bei der Eröffnung der Wiener Festwochen

Einzig die Beschreibung "ohne Publikum" wollte auf diese coronabedingt anders ausgerichtete Festwochen-Eröffnung nicht ganz passen. Zwar angelegt als Konzert ohne Zuschauer und übertragen auf ORF 2 sowie 3sat, waren es schlussendlich doch einige Menschen, die sich an den Absperrungen vor der Bühne versammelt hatten. Kein Wunder, standen auf ebenjener doch etliche große Namen der Wiener Musikszene, die zum 70-Jahr-Jubiläum gekommen waren.

Auf den feierlichen Rahmen, den das Koehne Quartett und Phoen Extended eingangs mit Beethovens Europahymne lieferten, folgten sofort eine typisch Wienerische Antwort: "Alle Menschen san ma zwider" sangen Die Strottern von einem Balkon des Rathauses in die Nacht hinein. Nicht ganz so misanthropisch, dafür politisch aufgeladen präsentierte sich danach Sängerin Mira Lu Kovacs, die auf ihrem Jackett "Stop Femicide" in grellgelben Lettern stehen hatte als Statement zur Serie an Frauenmorden im Land.

Aber auch ihre Darbietung der Radiohead-Nummer "The National Anthem" mit Cellist Lukas Lauermann war mit aktuellen Verweisen versehen, gab es als Einleitung doch einige Sprachsamples von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen Falschaussage standen. Den Bogen von Kunst und Politik hatte eingangs auch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in einer kurzen Rede gespannt. Die Festwochen stünden "für die Freiheit der Kunst. Und die existiert immer dort, wo es freie Medien und eine unabhängige Justiz gibt." All das sei "unabdingbar in unserer Stadt und unserem Land", so Ludwig.

In der Folge wurde der politische Unterton aber zurückgefahren zugunsten eines musikalisch vielfältigen Ausdrucks, der von Tango-Klängen des Herbert Pixner Projekts über den weltmusikalischen Jazz des Golnar & Mahan Trios bis zur gelungen Bob-Dylan-Verbeugung "The Times They Are A-Changin'" im Wiener Dialekt reichte - für Letztere griff Ernst Molden stilecht auf einer Bank im Rathauspark sitzend in die Saiten. Zwischen Pop, Jazz und Klassik wandelten wiederum Marie Spaemann und Christian Bakanic, wobei ohnehin galt: Jeder hilft hier jedem aus, womit letztlich ein großes, vielstimmiges Orchester zeitgenössischer Klänge entstand.

Den performativen Höhepunkt und damit vielleicht direktesten Konnex zu den eigentlichen Festwochen, die aufgrund der Coronapandemie heuer von 3. Juni bis Mitte Juli sowie von 24. August bis Mitte September zweigeteilt über die Bühne gehen, lieferte Holzingers Festzug: Zu zwei Stücken von Anja Plaschg alias Soap&Skin fuhren am Rathausplatz mehrere Pkws und Lkws auf, mal mit Laufbändern am Dach versehen oder aber wie nach einem schweren Unfall schwerst ramponiert. Auf den Gefährten wiederum tummelten sich Dutzende nackte Frauen, die in kleineren Gruppen immer wieder zu Choreografien ansetzten - und diese konnten durchaus in Handgreifliches ausarten.

Allerdings zeigte sich dabei auch der Nachteil einer reinen TV-Übertragung: Oft schien der Blick vom Wesentlichen abgelenkt, erkannte man manchmal nur im Hintergrund einen neuen Handlungsmittelpunkt und ließ sich das Ausmaß des Zugs aus etlichen Fahrzeugen in den nur wenigen Totalen eher schwer erfassen. Dafür kamen als Einspieler den ganzen Abend über prominente Festwochen-Akteure und -Begleiter in kurzen Rückblicken zu Wort, von Andre Heller über Gottfried von Einem und Claus Peymann bis Peter Sellars. Und auch wenn er deutlich leiser ausfiel als sonst üblich: Selbst der obligatorische Schlussapplaus ging sich dank der überraschend erschienenen Zaungäste aus. Der Hunger auf Kunst und Kultur ist da, die Festwochen können kommen.

(S E R V I C E - www.festwochen.at)

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