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Elektra

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1903, im Wien des Sigmund Freud, hat Hugo von Hofmannsthal sich der Orestie-Variante des Sophokles angenommen und durch die aufkommende Psychoanalyse auf ihre seelischen Abgründe abgeklopft. Für seine erste Regiearbeit für TZF hat Matti Melchinger diesen doppelten Klassiker in eine moderne Dystopie versetzt, in der die Kraft der Sprache ebenso berücksichtigt wird wie die atavistische Grundsituation.

von Hugo von Hofmannsthal
nach Sophokles

Die Mutter hat mit ihrem Geliebten den Vater ermordet und den Thron des toten Agamemnon übernommen. Haushalt und Staat sind nicht unzufrieden den brutalen Kriegerkönig los zu sein. Nur eine will und kann nicht Gras darüber wachsen lassen, kann das Blut nicht übertünchen: Tochter Elektra hofft im Gegensatz zu ihrer Schwester Chrysotemis auf Rache und wünscht ihrer Mutter den Tod. Dabei richtet
sich ihre ganze Hoffnung auf die Rückkehr ihres verschollenen Bruders Orest. Als er endlich unerkannt nach Hause kommt, dominiert sie ihn mit ihrer Racheobsession und stürzt die ganze Familie ins Verderben.

1903, im Wien des Sigmund Freud, hat Hugo von Hofmannsthal sich der Orestie-Variante des Sophokles angenommen und durch die aufkommende Psychoanalyse auf ihre seelischen Abgründe abgeklopft. Für seine erste Regiearbeit für TZF hat Matti Melchinger diesen doppelten Klassiker in eine moderne Dystopie versetzt, in der die Kraft der Sprache ebenso berücksichtigt wird wie die atavistische Grundsituation.

Inszenierung: Matti Melchinger
Bühne: Sam Madwar
Kostüm: Katharina Kappert
Musik: Fritz Rainer
Maske: Gerda Fischer

Es spielen:
Angela Ahlheim, Kim Bormann, Regina Schebrak, Maja Sikanic, Bettina Soriat, Ivana Stojkovic, Felix Krasser, Leonhard Srajer

KRITIK

Erst vor wenigen Tagen hat sie noch in einem britischen Reitstall gearbeitet und einen jungen Kollegen zu verführen versucht. Nun trägt sie einen altgriechischen Namen, lebt in einem Palast und wird von der Schwester gedrängt, ihre Mutter und deren Liebhaber eigenhändig zu töten, um den Axt-Mord am Vater zu rächen. So abwechslungsreich kann das Leben einer Schauspielerin sein. Angela Ahlheim wird beiden Aufgaben gerecht, wobei ihr die Rolle von Elektras Schwester Chrysothemis natürlich schon rein emotional wesentlich mehr abverlangt. Scala-Debütantin Kim Bormann als Elektra tritt hingegen zunächst erstaunlich verhalten auf, nur ein Klageschrei hinter der Bühne verdeutlicht sogleich, welche Gefühle in ihr brodeln und spätestens bei der großen Konfrontation mit Mutter Klytämnestra wird sich ihr Temperament zu Orkanstärke steigern. (In der Rolle dieser Mutter musste Bettina Soriat bei der Premiere einen besonderen Härtetest überstehen und hat sich der Herausforderung trotz Kehlkopfentzündung bewundernswert gestellt.)
Die Antike ist hier allerdings nicht jene des Sophokles, sondern eine erheblich zeitgemäßere, wie Hugo von Hofmannsthal sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts empfand. Immerhin hat auch seine Lektüre von Freunds und Breuers berühmten „Studien über Hysterie“ zur Konzeption der Titelfigur Wichtiges beigetragen. Ein Seelendrama ist ins rote Zweilicht getaucht und was als äußere Handlung erscheinen könnte, sind vor allem innere Vorhänge. Hofmannsthal selbst veröffentlichte nachträglich noch detaillierte Anweisungen, wie er Dekoration, Kostüme und Beleuchtung umgesetzt wissen wollte. Matti Melchinger hat bei seiner ersten Regiearbeit in der Wiener Scala diese Anregungen aufgegriffen und arbeitet vor allem mit leitmotivisch eingesetzten Farben. So ist das Rot allgegenwärtig: halb unter der Treppe versteckt steht die blutverschmierte Badewanne, in der Agamemnon getötet wurde, blutige Rohre stapeln sich auf ihr, vervollständigt wird der Eindruck durch blutige Handabdrücke an den Wänden; Aegist (Leonhard Srajer als peitschenschwingende blonde Bestie) trägt am Unterarm eine blutige Bemalung und selbst die Kittelschürzen der Mägde weisen Blutspritzer auf - und sobald sich die Handlung dramatisch zuspitzt, wird die Bühne durch seitlich angebrachte Leuchtelemente erst recht in ein optisches Blutbad getaucht. Zugleich bekommen wir auch ein Schattenspiel geboten und als besonders geglückter Regieeinfall hat zu gelten, dass nur für Elektras Augen sichtbar der Geist ihres Vaters immer wieder über die Wände huscht.
Kim Bormanns faszinierende Elektra weist übrigens eine Punk-Attitüde auf und schon ihre kunstvoll zerrissene Aufmachung wirkt wie von Vivienne Westwood entworfen (in Wirklichkeit hat Katharina Kappert die Kostümierung übernommen). Auch ansonsten verquicken sich die Zeitebenen auf anregende Weise: während Klytämnestra ein griechisches Prachtgewand trägt und dank Plateausohlen wie auf Kothurnen geht, könnte das Bühnenbild von „Alien“-Schöpfer H. R. Giger stammen, denn die angedeuteten Palastwände erinnern zugleich an das Innere eines Raumschiffes (und die zentrale Schiebe-Tür verstärkt den Eindruck noch). Regisseur Melchinger hat überhaupt tief aus dem zeitgenössischen Bildfundus geschöpft: Bormanns Elektra verschmilzt in ihrer Aufmachung regelrecht mit Charlize Therons Figur der starken Furiosa aus dem letzten „Mad Max“-Film und erinnert zugleich an Lisbeth Salander aus Stieg Larssons „Millennium“-Reihe . Als hingegen der Rächer Orest (Felix Krasser) gegen Ende erscheint, wirkt er im verstaubten Kapuzenmantel wie ein Jediritter und wir erwarten, dass sich die Waffe an seiner Seite jederzeit in ein Lichtschwert verwandelt.
Dabei schreckt Melchinger auch vor etwas grelleren Effekten nicht zurück: beim Aufeinandertreffen von Mutter und Tochter tragen die beiden nicht bloß mit Worten Schaugefechte aus, sondern gehen einander an die Kehle und bieten vollen körperlichen Einsatz, der sich manchmal bis zum kleinen Ringkampf steigert. Zum Finale schleppt Orest dann die von ihm Getöteten aus dem Palast und drapiert ihre Leichen auf der Treppe (wobei den Mägden aus zerfetzten Schürzen Stoffschlingen als Eingeweide baumeln); und kaum sinkt Elektra nach ihrem ekstatischen Freudentanz tot zu Boden, geht aus dem Bühnenhimmel ein Blutregen auf die nieder.
Diese Inszenierung ist jung, wild, ungebärdig, körperbetont kraftvoll und immer vibrierend vor Aktivität. Ein Punkrockkonzert zu Hofmannsthals Worten. So hat jede Generation ihre eigene Elektra.

franco schedl