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Equus

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Equus war eines der großen Theaterereignisse, aber auch einer der großen Theaterskandale der 70er Jahre. Tabubrüche und epische Spielformen waren damals ungewöhnlich und mutig- doch das Stück hat, wie seine kürzliche Wiederaufnahme im West End und am Broadway beweisen- auch heute noch Kraft, das Publikum zu packen.

Von Peter Shaffer

Kinderpsychiater Martin Dysart bekommt von einer Richterin einen außergewöhnlich schrecklichen Fall zugewiesen: der 17-jährige Alan, der in einem Reitstall arbeitet, hat aus vorerst unerklärlichen Gründen mehreren Pferden die Augen ausgestochen. Alan ist anfangs ein schwieriger Patient, der Fragen nur mit gesungenen Werbejingles beantwortet. Im Verlauf der Handlung entdeckt Dysart eine religiöse Obsession des Jungen, der sich aus der dogmatischen christlichen Erziehung seiner Mutter, seiner pubertären unterdrückten Sexualität und seiner eigenen Faszination für Pferde eine eigene Religion geschaffen hat, die das Pferd als Erlöser und moralische Instanz heiligt.

Als Jill, eine Mitarbeiterin des Reitstalls, versucht, ihn dort zu verführen, scheitert er am missbilligenden Blick des Pferdegottes und sticht den allsehenden Tieren in einem Befreiungsschlag die Augen aus. Durch die intensive Beschäftigung mit diesem Fall beginnt Dysart langsam zu zweifeln, ob die fehlgeleitete, aber schöpferische Obsession des Jungen wirklich eine zu behandelnde Krankheit ist oder ob er Alan und all seinen Patienten nicht im Grunde eine gesellschaftskonforme Normalität aufzwingt, die ihnen ihr Leben nimmt. Equus war eines der großen Theaterereignisse, aber auch einer der großen Theaterskandale der 70er Jahre. Tabubrüche und epische Spielformen waren damals ungewöhnlich und mutig- doch das Stück hat, wie seine kürzliche Wiederaufnahme im West End und am Broadway beweisen- auch heute noch Kraft, das Publikum zu packen.

Inszenierung und Raum: Sam Madwar
Kostüm: Alexandra Fitzinger
Musik: Fritz Rainer

Es spielen:
Angela Ahlheim, Christina Saginth, Birgit Wolf, Angelo Konzett, Anselm Lipgens, Christoph Prückner, Robert Stuc, Tom Wagenhammer

KRITIK
Das Programm der Wiener Scala kehrt langsam wieder in den jugendfreien Bereich zurück: war „Loveplay“ zur Saisoneröffnung erst ab 16 Jahren freigegeben, sind in Peter Shaffers Pferdeblendungs-Jugendpsychiater-Drama, das zu seiner Entstehungszeit 1973 als provozierend radikal empfunden wurde, alle ab 14 willkommen. Man könnte das Stück – in Anlehnung an Sigmund Freuds berühmte Fallgeschichten vom „Wolfs-“ und Rattenmann“ – auch „Der Pferdejunge“ nennen.
Während der kleine Hans – wohl der Jüngste unter Freuds Patienten – Angst vor Pferden hatte, ist es beim 17jährigen Alan (Angelo Konzett) gerade umgekehrt: er verehrt diese Tiere nach einem prägenden Kindheitserlebnis, und seine Faszination steigert sich bis zur kultischen Anbetung, die in einer Art heidnischem Ritual gipfelt. Doch davon weiß vorerst niemand etwas, denn der Teenager ist mehr als verschlossen und gewährt keinerlei Einblicke in sein Seelenleben. Aber er schockt seine Umwelt durch eine scheinbar sinnlos brutale Tat: ausgerechnet jenen drei Pferden, für deren Pflege er in einem Reitstall verantwortlich war, hat er eines nachts die Augen ausgestochen. Was hat ihn dazu getrieben? Dieser Frage will Jugendpsychiater Dr. Dysart (Anselm Lipgens) auf den Grund gehen, indem er seelische Detektivarbeit leistet, Personen aus Alans Umfeld befragt und vor allem das Vertrauen des Jungen zu gewinnen sucht – und so legt er Schicht um Schicht einer ungewöhnlichen Geschichte frei. Durch diesen Patienten wird er zugleich in eine tiefe Sinnkrise gestürzt und beginnt an seiner Profession zu zweifeln, denn warum sollte man einem Menschen den Glauben an dessen ureigenen Gott rauben, wenn man nichts Besseres als fade ‚Normalität‘ dafür in Aussicht stellt?
Es bleibt auch nach fast 50 Jahren starker Stoff, den uns Peter Shaffer hier bietet: verstörend, faszinierend, archaisch, furcht- und respekteinflößend - und Regisseur Sam Madwar hat das alles perfekt umgesetzt. Die von ihm geschaffene Bühne ist durch Bretterwände begrenzt: wir befinden uns in einem rustikal eingerichteten Pferdestall, der zum Beispiel Balken mit geschnitzten Pferdeköpfen an den Enden aufzuweisen hat. In der Mitte erhebt sich eine Konstruktion, die an einen hölzernen Boxring erinnert und tatsächlich tragen hier der Doktor und sein Patient ihre Wortgefechte aus. Erzählen und Ausagieren gehen ständig ineinander über und daher verwandelt sich die gleichbleibende Bühne in viele verschiedene Schauplätze – wir befinden uns von einer Sekunde zur anderen im Haus von Alans Eltern oder in einem Pornokino. In einer Schlüsselszene versetzt sich der hölzerne Mittelteil sogar in Drehbewegung und verschafft uns so den Eindruck eines wilden nächtlichen Ausritts über ein Kornfeld.
„Equus“ stellt an die Darsteller hohe Anforderungen: sie haben nicht nur enorme Textmengen zu bewältigen, sondern müsse auch vollen physischen Einsatz leisten, denn zur seelischen Entblößung kommt auch die körperliche hinzu. Angelo Konzettis Einstand im Theater zum Fürchten ist eine unvergessliche Leistung und der beste Beweis seines Könnens: wer in dieser Rolle im Sattel bleibt, kann tatsächlich alles spielen. (Es wirkt noch dazu wie eine Vorstudie zum geplagten Pferdeanbeter Alan, dass er als Kind bereits an Passionsspielen in Vorarlberg beteiligt war.) Scala-Debütantin Angela Ahlheim steht ihm dabei in nichts nach, obwohl ihre Figur laut Vorgabe erst im letzten Drittel an Bedeutung gewinnt. Immerhin darf man sich auf ein Wiedersehen freuen, denn sie wird im folgenden Monat an dieser Bühne Hofmannsthals „Elektra“ spielen. Anselm Lipgens zeigt in einer Rolle, die einst durch Anthony Hopkins und Richard Burton verkörpert wurde, Zweifel und Verzweiflung und bringt uns so die Figur des Psychiaters mit quälender Intensität nahe. Birgit Wolf und Christoph Prückner überzeugen als bigotte Mutter und puritanischer Vater; Christina Saginth hat kürzere, aber entscheidende Auftritte als einzige Vertraute des Doktors und wird zur Ohrenzeugin seiner großen Selbstanklage; und Robert Stuc ist gleich in doppelter Funktion als Pfleger und Pferdestallbesitzer tätig. Am Ende fühlen sich die Darsteller vermutlich wie nach einem Parforceritt: erschöpft aber glücklich. Tierschützer müssen das Theater übrigens nicht stürmen (außer sie kaufen sich Karten) – es kommen zwar Pferde vor, doch die werden von Menschen gespielt. Drei Männer stecken in speziellen Trikots und tragen Pferdeköpfe aus Drahtgeflecht; dazu bewegen sie sich mit der Grazie geschulter Tänzer und man gerät auch als Zuschauer in Versuchung, ihnen von Zeit zu Zeit Zuckerstücke zuzuwerfen.zuzuwerfen.

franco schedl