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© Secession Wien

Nairy Baghramian

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Nairy Baghramian setzt sich meist ausgehend vom menschlichen Körper mit den grundlegenden Fragen der Bildhauerei auseinander, entwirft mit ihren Skulpturen und Installationen jedoch ganz bewusst eine Antithese zum traditionellen Skulpturenbegriff. In ihrer künstlerischen Formensprache, Materialwahl und Herangehensweise dem Postminimalismus gleichermaßen nahe stehend wie der Konzeptkunst, nutzt die Künstlerin das Potential der Abstraktion, um komplexe Fragestellungen zu verhandeln und für sie eine ästhetisch formale Entsprechung zu finden. Baghramian selbst spricht dabei von „ambivalenter Abstraktion“. Ihre Arbeit thematisiert zeitliche, räumliche und soziale Beziehungen zu Sprache, Geschichte und Gegenwart mit Formen, die sich als Reaktion auf Kontextbedingungen oder die Prämissen eines bestimmten Mediums materialisieren.

Ihre bildhauerischen Werke für den Innen- wie den Außenraum bestehen häufig aus mehreren Elementen und aus so unterschiedlichen Materialien wie Aluminium, Glas, pigmentiertem Wachs, Marmor, Porzellan, Kork und Epoxidharz. Organische Formen, die dicht gebündelt sind, ineinandergreifen, einander stützen, tragen oder aneinander lehnen, stellen ihre gegenseitige Abhängigkeit subtil und doch deutlich zur Schau. Die Korrelation oder Interdependenz der Objekte wird zudem durch den Einsatz von prothesenartigen Stützen und Zwingen unterstrichen, wobei vermeintliche Mängel der Arbeit immanent bleiben dürfen. „Meine Skulpturen sollen die Zweifel an ihnen mit formulieren.“ Das macht ihre Werke angreifbar und verletzlich, während die Hilfskonstruktionen zugleich auf ihre konzeptuelle temporäre Qualität und Veränderbarkeit verweisen.

Baghramians Installationen und Skulpturen nehmen zum Ausgangspunkt stets einen Bezug auf Architektur, Geschichte und institutionellen Kontext des Ausstellungsortes, ohne dabei von diesem abhängig zu werden. 2017 beispielsweise wählte sie für ihre Arbeit Beliebte Stellen / Privileged Points für die Skulptur Projekte Münster mit einem barocken Schloss im Stadtzentrum einen sehr prominenten Ort. 1987 hatte Richard Serra hier eine mächtige, knapp sechs Meter in die Höhe ragende Vertikalstruktur aus Stahl errichtet. Während Serra seine auf die Fassade des Hauses bezugnehmende monumentale Skulptur mit der Absicht des permanenten Verbleibs auch nach der Ausstellungsdauer platziert hatte, thematisierte Baghramian mit ihrem raumgreifenden Arbeiten die zeitliche Begrenztheit des Ausstellungskonzepts. Baghramians Beitrag im repräsentativen Hof vor dem Schloss blieb bodennah und scheinbar unvollendet. Die feine, wie gekritzelte Linie, die ihre großzügig mit Farbe übergossene Bronzeskulptur in Form eines offenen Kreises beschrieb, erstreckte sich horizontal. Die noch nicht verschweißten Einzelelemente der gegossenen Bronzeskulptur wurden von verzinkten Stahl-Hilfskonstruktionen provisorisch in Position gehalten, während für die Installation im Hinterhof weitere lediglich mit Grundierung behandelte Elemente lose gestapelt lagen, aus denen potentiell weitere Beliebte Stellen zusammengesetzt werden konnten.

Ein weiterer Wesenszug ist die räumliche Annäherung der Werke von der Peripherie, den Durchgängen und Korridoren hin zum Zentrum, wobei sie sich ihrer Umgebung eher einschreiben und eine Stelle markieren als den Raum zu dominieren. Mit ihren oft fragil wirkenden Skulpturen, die Stützung brauchen und so gesehen abhängig sind, stellt sich Baghramian stets auch der Konvention der selbstbewussten (männlichen) Pose, der dominanten Setzung, dem Anspruch des Immerwährenden entgegen.

Nairy Baghramian, 1971 in Isfahan geboren, lebt und arbeitet in Berlin.