Premiere in der Volksoper.

© Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Theater Wien

"Lass uns die Welt vergessen": Die Volksoper und das Jahr 1938

Letztlich ist das Genre Operette gleichsam Synonym für Weltflucht. Dass man der Welt jedoch in manchen Zeiten nicht entfliehen kann, das stellt die Wiener Volksoper mit ihrem neuen Projekt "Lass uns die Welt vergessen - Volksoper 1938" unter Beweis, das am Donnerstag Uraufführung feierte. 

Auf den Tag genau 125 Jahre nach Eröffnung, gedachte man damit jenen Künstlerinnen und Künstlern des Hauses, die vom Nationalsozialismus vertrieben oder ermordet wurden.

Rückblick auf das Jahr 1938

Der niederländische Regisseur und Autor Theu Boermans erzählt dabei von den ersten Wochen des Jahres 1938, vor dem "Anschluss". Man probt die heute nur mehr in Rudimenten erhaltene Operette "Gruß und Kuss aus der Wachau" von Jara Beneš. Während im Inneren des Hauses Menschen wie der Regisseur Kurt Hesky (Jakob Semotan) die sich anbahnende Machtübernahme der Nazis ignorieren wollen und das Theater als Traumwelt konstruieren, sind andere wie der Librettist Fritz Löhner-Beda (Carsten Süss) weit kritischer ob der Lage.

Und tatsächlich bricht die Realität in diese vermeintlich abgeschiedene Welt mit Wucht. Der gesellschaftliche Umschwung, die beginnende offene Feindseligkeit gegen die am Haus arbeitenden Juden lässt sich auch von Intendant Alexander Kowalewski (Marco Di Sapia) nicht mehr hintanhalten. Zerbröckelt anfangs die Vertrauensbasis zwischen den Beteiligten, folgen nach der Machtergreifung alsbald Entlassungen. Die führenden Künstler der Produktion müssen letztlich fliehen oder werden im KZ ermordet. Am Ende sitzt Hugo Wiener alleine am Klavier, während die Bilder und Schicksale der Betroffenen über die Leinwand flimmern. Ein starkes Schlussbild.

Historische Geschehnisse

Als Basis diente das soeben neu aufgelegte Buch "Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt" von Theatermuseumsdirektorin Marie-Theres Arnbom. Zusätzlich zu den historischen Charakteren wie Wiener (Florian Carove), Löhner-Beda (Carsten Süss) oder Kurt Herbert Adler (Lukas Watzl) wurden für die Bühne aber fiktive Figuren wie etwa der Jiddisch sprechende Souffleur Ossip Rosental (Andreas Patton) oder der schwule Bühnenbildner Leo Asch (Szymon Komasa) hinzugefügt, was das Schicksalsspektrum über die Stars hinaus erweitert. Und Volksschauspieler Gerhard Ernst ist als Bühnenmeister eine Figur wie der Frosch aus der "Fledermaus", der als melancholischer Kommentator das Geschehen einordnet.

Theu Boermans verschränkt in seinem Stück die drei Realitäten der Operette, deren Proben und die historischen Geschehnisse in der Außenwelt, die mittels zeitgenössischen Videoaufnahmen in den Theaterraum flimmern. Dem 73-Jährigen gelingt dabei frappant, das Wechselbad der Gefühle zwischen diesen drei Narrationsebenen auszutangieren. Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge, der gelingt, auch wenn die Fröhlichkeit immer wieder im Hals stecken bleibt.

Standing Ovations zur Premiere

Auch im Bühnenbild (Bernhard Hammer) changiert man nahtlos zwischen der bunten Operettenwelt, hartem Sichtbeton für die alles andere als blumige Realität und einem Rundgerüst, auf dem sich kurze Privatszenen der Proponenten abseits des Theaters simultan abspielen. Und diese emotionale Achterbahn spiegelt sich schließlich nicht zuletzt in der musikalischen Gestalt wieder. So kommt der israelischen Dirigentin des Abends, Keren Kagarlitsky, das Verdienst zu, die verschwundene Beneš-Operettenpartitur aus einem existierenden Klavierauszug rekonstruiert zu haben. Für die Interludien hingegen dienen Werke jüdischer Komponisten wie Schönberg, Mahler oder Ullmann und geben dem Geschehen eine gänzlich andere Grundierung.

"Lass uns die Welt vergessen" verbrämt nichts, ist dem Eskapismus gänzlich abhold. Der Hitler-Gruß wird hier gezeigt, die SA-Uniform getragen, und am Ende flackern hinter dem Schlusschor der Operette Aufnahmen von ausgemergelten KZ-Überlebenden über den Bühnenhintergrund. Die Volksoper stellt sich offen einem schmerzhaften Teil ihrer Vergangenheit. Ein würdevolles Gedenken, für das es am Ende minutenlange Standing Ovations gab.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare