Nosferatu im Burgtheater

© Susanne Hassler-Smith

Theater Wien

Tragödie der Untoten: "Nosferatu" in der Burg

Dass von der ursprünglichen Geschichte rund um Bram Stokers "Dracula" wenig übrig bleiben würde, war zu erwarten: Nach "Die Troerinnen" im Jahr 2022 präsentierte die australische Regisseurin Adena Jacobs am Freitagabend im Burgtheater mit "Nosferatu" erneut ein höchst eigenwilliges Destillat eines bekannten Stoffs. Dabei setzt sie ganz auf Motive des Monströsen und des Missbrauchs. Ein bild- und textstarker Abend, dem am Ende der zwei Stunden jedoch die Luft ausging.

Bereits bei ihrem Burgtheaterdebüt hatte Jacobs Euripides' Tragödie mit weiteren griechischen Texten angereichert und von der Autorin Gerhild Steinbuch neu übersetzen lassen. Bis aufs Gerippe dekonstruiert zeigte sie damals eine Gruppe von Frauen, auf sich selbst zurückgeworfen, gezeichnet vom Krieg, gefangen im Limbus. Und so sind es auch bei "Nosferatu" vor allem die Frauen und ihre facettenreichen Erfahrungen von Ausbeutung, für die sich die 42-Jährige interessiert.

"Nosferatu" mit Wiener Schauplatz

Schauplatz ist eine Anstalt in der Nähe von Wien im beginnenden 20. Jahrhundert, die optisch mehr einer großen amerikanischen Scheune gleicht als jenem Schloss, von dem in Steinbuchs gewohnt rhythmisierten, elliptischen Stücktext stets die Rede ist. Dorthin hat es jedenfalls eine Frau verschlagen, die in der Klinik eine neue Stelle antreten will. Sylvie Rohrer spielt die grauhaarige, entrückte Frau auf Sinnsuche, die sich ihrem Ziel auf der Drehbühne stetig nähert, mit beeindruckender Intensität. Einmal angekommen, trifft sie auf die furchteinflößende Gräfin (Bibiana Beglau), die mit wildem Blick und beängstigendem Gebiss über ihr Reich herrscht, in dem offenbar allerlei Kreaturen untergebracht sind, denen das Menschliche abgesprochen wird. Sie vegetieren auf Betten oder auf Seziertischen, über die Fassaden huschen via Projektion verrenkte, nackte Körper, eine Komparserie aus blutverschmierten Tänzerinnen und Tänzern komplettiert das Bild.

Tragödie der Untoten

Einzelne Handlungsstränge werden meist nur angedeutet, über weite Strecken dominiert der eindringliche Text Steinbuchs, der von Angst, Kontrollverlust und Monstrosität handelt. Das opulente, vor allem mit stetiger Bewegung und Dekonstruktion arbeitende Bühnenbild von Eugyeene Teh beeindruckt in inniger Symbiose mit den Videoprojektionen (Tobias Jonas). Schnell wird klar: Hier geht es mehr um Stimmung denn um Handlung. 

Eine solche entsteht nur fragmentarisch: Das aus Stokers Roman bekannte Dracula-Opfer Lucy (Lilith Häßle) befindet sich hier ebenso in "Behandlung" wie der seit Jahren internierte Renfield (Markus Meyer), der mit offenem Rücken ein Leben zwischen Mensch und Wolf führt und von der strengen Anstaltsleiterin (Sabine Haupt) und ihrer Helferin (Safira Robens) in einem Glaskasten gehalten wird, den er nur mit Maulkorb verlassen darf. Als Lucys "Muttertier", das um die Anerkennung der Menschlichkeit ihrer Tochter kämpft, taucht Elisabeth Augustin auf. Beglau selbst gibt via Zuspielung sowie real auf der Bühne immer wieder verzweifelte Einblicke in die große Tragödie der Untoten: im Lauf der Geschichte mit all ihrer Gewalt bis in die Unendlichkeit gefangen zu sein.

Bildgewaltige Inszenierung im Burgtheater

"Wir dachten, es wäre interessant, die Erforschung von Gewalt und der Art und Weise, wie die Geschichte von Traumata durch Menschen und Generationen weitergegeben wird, fortzusetzen, aber dieses Mal ergänzt um eine metaphorische Welt von Vampiren und Monstern", erläutert Jacobs im Interview im Programmheft, inwiefern die "Troerinnen" Einfluss auf "Nosferatu" hatten. Die Assoziationen zu psychiatrischen Einrichtungen und Kinderheimen in der Nazi-Zeit (und darüber hinaus) mit ihren fürchterlichen Methoden sind dabei bewusst gesetzt.

Und so verbreitet diese bildgewaltige Inszenierung einen Horror, der weit über die Angst vor Vampiren hinausreicht. Was bei all den eindringlichen Einzelszenen und dem optischen wie akustischen Dauerfeuer jedoch untergeht, ist ein Handlungsbogen, der das Publikum zumindest ansatzweise an der Hand nimmt, um es durch den zweistündigen, pausenlosen Abend zu führen. Während sich die Effekte mit zunehmender Dauer abnützen, führt das Geschehen zu keinem wirklichen dramatischen Höhepunkt. Die menschliche Kälte auf der Bühne sickerte so auch in den Saal, aus dem am Ende freundlicher Applaus kam.

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