Eine Szene aus "Drittes Klavierkonzert" von Martin Schläpfer

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Theater Wien

"The moon wears a white shirt" in der Volksoper

Doch das, was man am Sonntagabend in der Volksoper Wien zu sehen bekam, war ein Ballettabend mit drei je 25-minütigen höchst konventionellen Choreografien von Martin Schläpfer, Karole Armitage und Paul Taylor zu drei außergewöhnlichen Musikstücken. Und ein weißes Leiberl trug weder der Mond noch einer der Tänzer.

Derer gab es viele, denn der Abend ist ausdrücklich den 24 Tänzerinnen und Tänzern des Staatsballetts gewidmet, die den Corps de ballet der Volksoper formen. Und die zeigten wenige Tage nachdem bekannt wurde, dass die italienische Tänzerin Alessandra Ferri ab 1. September 2025 Schläpfer als Direktorin des Wiener Staatsballetts ablösen wird, dass sie durch und durch jene "klassische Compagnie" sind, als die sie Ferri bei ihrer Vorstellung titulierte.

Insofern war der Ensembleabend wie eine Reise mit der Zeitmaschine, ein Blick in eine heile Tanz-Welt, in der es draußen zwar drunter und drüber gehen mag, Krisen sonder Zahl den Menschen das Leben schwer machen, ja die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel steht, drinnen aber noch immer im Zentrum steht, ob Hebefiguren, Sprünge und Drehungen mit technischer Perfektion und graziler Leichtigkeit ausgeführt werden. Das werden sie durchaus an diesem Abend. Und dennoch fragt man sich, wer da was verpasst hat.

Das Konzert für Klavier und Streichorchester von Alfred Schnittke ist ein gewaltiges Stück Musik, das wird auch in der Interpretation mit Dirigent Christoph Altstaedt und Pianistin Alina Bercu deutlich. Es macht viele Assoziationsräume auf und bricht bisweilen wie ein gewaltiges Gewitter über die Zuhörer herein. Schläpfer hat es in seiner vor 23 Jahren entstandenen und nun von Yuko Kato einstudierten Choreografie "Drittes Klavierkonzert" als "Ballett über die Schwierigkeiten zu lieben, Freund eines Liebenden zu sein und über unser aller Bedürfnis, oftmals mehr oder völlig anderes zu begehren und zu erträumen, als wir zu erreichen vermögen", interpretiert. Zu sehen gibt es also Annäherungen und Abstoßungen zwischen Männern und Frauen. Nichts Neues unter der Sonne.

Der titelgebende Mond begegnet einem im zweiten Teil des Abends - vorausgesetzt man kann Ungarisch. Dann kann man nämlich den Beginn der drei von György Ligeti komponierten und von Stephanie Maitland, Annelie Sophie Müller und Birgid Steinberger gesungenen Lieder auf Gedichte von Sándor Weöres richtig übersetzen: "Es tanzt der Mond im weißen Hemd, in bläulichem Licht badet alles." Nichts von alledem findet jedoch auf der Bühne statt. In ihrer 2007 in New York City uraufgeführten Choreografie "Ligeti Essays" lässt Karole Armitage Tänzerinnen und Tänzer vor einem kahlen Baum, der aus einer "Warten auf Godot"-Inszenierung stammen könnte, es immer wieder aufs Neue miteinander versuchen. Das ist kraftvoller, athletischer, aber auch verspielter als zuvor bei Schläpfer. Und auch eine "Ich geh mit meiner Laterne"-Episode gibt es, passend zu Martini.

Ganz romantisch und betont fröhlich geht es dann zum Concerto für Violine und Orchester op.3. Nr.2 von Pietro Locatelli zu, mit der mitreißenden Violonistin Bettina Gradinger. Die Musik ist um 1723 entstanden, die Choreografie von Paul Taylor stammt aus dem Jahr 2000. "Dandelion Wine" hat er sie genannt, nach einem offenbar in den USA populären alkoholhaltigen Löwenzahngetränk. Hier trifft man zwar auf weiße Kleider, Blusen und Hosen, im Zentrum steht jedoch ein Mann in Gelb, der "Zeremonienmeister", der dieses Fest der Lebensfreude arrangiert. War das Leben vor 300 oder vor 23 Jahren wirklich so unbeschwert und arglos, überlegt man beim Heimweg nach dem Premierenjubel und blickt Richtung sternenklaren Himmel. Vom Mond ist nichts zu sehen. Morgen ist Neumond. Vielleicht zieht er sich aber auch nur gerade um.

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