© Anna Jermolaewa, Leninopad, 2016. Ausstellungsansicht, Kerstin Engholm Galerie. Foto: Stefan Lux

Ausstellungen Wien

Volkskundemuseum Wien: Was steckt wirklich hinter dem Kulturerbe?

Der Umgang mit dem Lueger-Denkmal in Wien, ihrer Funktion beraubte Alltagsgegenstände oder die kulturelle und soziale Bedeutung von Kinos in den Randbezirken von Moskau: Was zum kulturellen Erbe gezählt wird - und was nicht -, damit beschäftigt sich die Ausstellung "Was uns wichtig ist!" im Volkskundemuseum Wien. Die Kuratorinnen Christa Benzer und Sabine Benzer haben dafür 18 zeitgenössische künstlerische Positionen versammelt.

Unterbewusstes hervorholen

"Im 19. Jahrhundert hatte das Kulturerbe eine immense politische und kulturelle Bedeutung", erläuterte das Kuratorinnen-Duo am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz zu der bis zum 30. Oktober laufenden Schau. So wurde Ende des 19. Jahrhunderts auch das Wiener Volkskundemuseum gegründet, "um das zu bewahren, was die Gesellschaft als wichtig erachtet hat". Bei der nunmehrigen Ausstellung beziehen sich Benzer und Benzer auf das "Ungedachte des Kulturerbes" nach Bénédicte Savoy. Auch die deutsche Kulturwissenschafterin Aleida Assmann wird zitiert: "Natürlich sind es die Künstler*innen, die dieses Ungedachte ins Bewusstsein holen."

Im konkreten Fall sind das 18 höchst unterschiedlichen Positionen: Den Anfang macht Klemens Wihlidal, der den im Jahr 2009 von der Universität für Angewandte Kunst Wien ausgeschriebenen inoffiziellen Wettbewerb zur Umgestaltung des Karl Lueger-Denkmals gewonnen hat. Sein - nie realisierter - Entwurf zur Neigung des Denkmals um 3,5 Grad nach "rechts" sowie die Dokumentation des "Schande"-Graffitis bilden ein Beispiel für den kontrovers diskutierten Umgang mit kulturellem Erbe in Wien.

© Graffiti-Intervention „Schande, Schande, Schande“ auf dem Karl Lueger-Denkmal in Wien, 2021/22

Objekt und Funktion getrennt

Auch Tatiana Lecomte beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit dem Nationalsozialismus: In "Anschluss" widmet sie sich der "Auseinandersetzung mit den Anfängen" und dem "Einordnen und Anordnen von vielfach beladenen und belastenden Bildern", wie sie bei der Pressekonferenz erläuterte. Ihren Fokus richtet sie dabei auf historische Fotografien aus Linz und Umgebung, wo 1938 nicht nur der "Anschluss" besiegelt wurde, sondern wo auch eines der Außenlager des KZ Mauthausen errichtet wurde. Wie sehr Bilder im Kontext gelesen werden, verdeutlicht sie, indem sie die Fotos und die dazugehörenden Bildunterschriften voneinander trennt.

Getrennt sind in ihrer Arbeit "Dinge" auch Objekte von ihrer Funktion: Für die Ausstellung durchforstete die Künstlerin die Datenbank des Volkskundemuseums nach Gegenständen, deren Funktion heute nicht mehr gekannt wird, weil sie für den heutigen Lebensalltag obsolet geworden sind. Passend dazu gibt sie im Rahmenprogramm zur Schau auch den Workshop mit dem Titel "Drehhaspel und Schusterkugel. Über das Verschwinden der Dinge".

"Erschreckende Aktualität" entwickelt laut den Kuratorinnen die Arbeit von Anna Jermolaewa, die sich in ihrer Videoarbeit "Leninopad" sowie einer dazugehörigen gestürzten Lenin-Figur dem 2015 verabschiedeten ukrainischen Gesetz zur Dekommunisierung widmet: Damals bereiste sie das heute im Krieg mit Russland befindliche Land, um die Bevölkerung nach ihrer Meinung zum Denkmalsturz zu befragen. Das Um- und Überschreiben von kulturellem Erbe ist auch Thema der Arbeit "Reflections on a Star-Shaped Masque" von Ricarda Denzer, die ein Objekt aus der Hagia Sophia in Istanbul in den Fokus rückt. Die Messing-Maske dient seit der Umwandlung der byzantinischen Kirche in eine Moschee dazu, die Gesichter der christlichen Seraphim-Engel zu bedecken.

Unterschiedliche Sichten

Der englischen Autorin Anne Lister (1791 - 1840) widmet sich schließlich Viktoria Tremmel in ihrer Installation "Come again a bit, Freddy". Dabei widmet sich die Künstlerin den lange versteckten Aufzeichnungen der Autorin, die damals akribisch ihr lesbisches Liebesleben zu Papier brachte. "In der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts hatte dieses Bild einer Frau keinen Platz", erläuterte die Künstlerin am Donnerstag. Dies sei auch der Grund, warum die Schriftstücke nach ihrem Fund durch einen Erben zunächst vernichtet werden sollten. Auszüge aus den Tagebucheinträgen präsentiert Tremmel in einer aus Kartonboxen gefertigten Wand, in die sie auch eigene Zeichnungen integriert hat.

Mit den zahlreichen unterschiedlichen Positionen zu alternativen Sichtweisen auf den Komplex des kulturellen Erbes löst das Kuratorinnen-Duo die vorangestellte theoretische Position ein. "Das Kulturerbe ist nicht mehr von der Tradition vorgegeben, sondern es muss immer neu ausgehandelt werden, um möglichst inklusiv und damit identitätsstiftend zu sein."

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare