Erika Ratcliffe

© Sebastian Wells

Kabarett Wien

"Bad Boy" auf Wienerisch: Erika Ratcliffe live

"Mein Name ist Erika. Ich bin halb Japanerin, halb Österreicherin – Jackpot!”. Eine Begrüßung, die sitzt, vor allem, wenn sie mit einem gewissen Sarkasmus vorgebracht wird. Und davon hat Erika Ratcliffe mehr als genug auf Lager. Schon in den ersten paar Minuten ihres neuen Programms “Bad Boy”, das am Dienstagabend im Kabarett Niedermair Premiere feierte, wird klar, dass sich der Titel auf sie selbst bezieht.

Keine Zeit für Scham

Im Stil der amerikanischen Stand-Up-Comedy schneidet Ratcliffe Themen an, die so manchen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ob Klitorisvergleich, Lecktücher, Bohnen-Fürze, Höhepunkte mit dem Sexspielzeug "Womanizer" oder ein richtig guter Streit auf offener Straße – es gibt keine Tabus in der Ratcliff’schen-Welt.

Das Publikum wird schon anfangs gut darauf vorbereitet, dass sie dabei keine emotionalen Veränderungen erkennen lässt: “Mein Gesicht und meine Stimme werden sich im Laufe des Abends nicht wesentlich ändern.” Deshalb verwundert es auch kaum, dass Ratcliffe über einen Psychiatrie-Aufenthalt im gleichen Tonfall spricht wie etwa über ihre ersten Kink-Gehversuche als sexy Schulmädchen.

Zwischen Sex und Leben

Der gleichbleibende, trockene Humor sorgte immer wieder für unkontrollierte Lacher bei den ZuschauerInnen. Schließlich rechnet man nicht wirklich damit, dass sich hinter recht harmlosen Worten richtige Wuchteln verbergen können. Interessanterweise zündeten aber nicht alle Witze gleichermaßen im Publikum. Besonders bei sexy Jokes war ein Humor-Gap zwischen den Generationen zu beobachten: Während sich die Ü40-erInnen dank Erzählungen über Sexspielzeug-Eskapaden vor Lachen bogen, fand das jüngere Publikum Themen wie WG-Suche in Berlin (“Ich verwende Immoscout wie ein Mann Tinder verwendet”) weitaus lustiger. 

Nicht alle Gags zünden

Dass Ratcliffe sich politisch unkorrekter Witze bedient, ist nicht verwunderlich. Schließlich kann man so auf gesellschaftliche Probleme und Fragen aufmerksam machen, ohne den Spaßfaktor zu opfern. 

Und die längste Zeit meistert sie die Gratwanderung zwischen gutem und schlechtem Geschmack auch gekonnt. Doch leider geht das Programm nicht ganz ohne kurze Abstecher ins Geschmacklose über die Bühne: Etwa, wenn Ratcliffe darüber fantasiert, so "horny" zu sein, dass sie "selbst einen obdachlosen Mann zu sich in die Wohnung mitnehmen" würde. Auch die ein, zwei inzestuösen Anspielungen im Programm wollen trotz des Nachsatzes “Nur Spaß!” nicht wirklich zünden.

Der rote Faden

Es drängt sich das Gefühl auf, dass “Bad Boy” in einer kürzeren, komprimierten Form besser zur Geltung gekommen wäre. Denn während der einstündigen Laufzeit wirkte es zum Teil so, als würde Ratcliffe sich schwertun, dem roten Faden des Programms zu folgen. So lassen sich vielleicht auch die paar Widersprüche erklären, welche die Glaubwürdigkeit des Gesagten anzweifeln lassen. Anfangs etwa stellt Ratcliffe zum Beispiel deutlich und sehr lustig dar, welch große Angst sie vorm Kinderkriegen hat. Dies wird später jedoch mit der Aussage konterkariert, dass sie "gleich beim ersten Date Löcher ins Kondom sticht", weil sie "sofort Gefühle für ihr Gegenüber" entwickelt.

Wer ist die Kunstfigur Erika?

Die Person auf der Bühne schuldet ihrem Publikum keine Wahrheit, aber die Kunstfigur sollte in sich geschlossen Sinn ergeben. Und ja, Erika Ratcliffe hat ganz offensichtlich eine Vision davon, wie diese Kunstfigur sein soll – ehrlich, direkt, edgy und zynisch. In das Langzeitformat Kabarett hineinzuwachsen wird für sie nach einigen weiteren Anlaufversuchen deshalb mit Sicherheit kein Problem sein.

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