© Gordon Welters Laif

Theater Wien

Florentina Holzinger: Das intensivste Theatererlebnis des Jahres?

Gleich dreimal hintereinander schlitterten die 13 teils nackten Tänzerinnen auf die schon etwas derangierte, nasse Bühne des Wiener Volkstheaters, um sich ihren Applaus abzuholen. Und hätte der letzte Song des nicht irgendwann gestoppt, wäre das Publikum wohl noch lange nicht aus der Trance der Standing Ovations erwacht. 

Mit “Ophelia’s Got Talent” hat Florentina Holzinger eine zwei Stunden und 35 Minuten lange Utopie erschaffen, die man nicht so einfach hinter sich lassen kann. Dieser Bann macht sich auch in den Verkaufszahlen bemerkbar: Schon in Berlin, wo das Stück der Österreicherin Premiere feierte, war jeder Termin ausverkauft – in Wien nun ebenso. Wer also auch in den Genuss einer Vorstellung in der Bundeshauptstadt kommen möchte, muss sich nun bis Oktober gedulden, da ist nämlich die Wiederaufnahme geplant.

"Ophelia's Got Talent": Ab ins Wasser!

Das Stück beginnt als Persiflage einer gängigen TV-Talentshow, biegt bei einer Stepptanz-Revue ab und landet schließlich bei Nixen, die sich an menschlichen Körperteilen verbeißen. Ganz im Sinne der Freud’schen freien Assoziation, lässt die Choreografin all jenes auf der Bühne erscheinen, was man sich unter dem Bild "Wasser" vorstellen kann. Dass diese Abfolge an fast schon cineastischen Szenen kohärent ineinander fließen, ist Holzingers subtile Zauberkraft.

Wie eine Magierin beschwört sie kulturhistorische Frauenfiguren aus der Mythologie herauf und schlüpft mitunter selbst in deren Hülle. Wenn sie als Shakespeares Ophelia mit einem gekünstelten Grinsen in den Tod sinkt, wird schnell klar, wie lächerlich die Anbetung einer "schönen Frauenleich’" eigentlich ist. Wie zu erwarten war, lässt sie auch an klischeehaften Männerrollen kein gutes Haar. Matrosen, die darüber singen, auf hoher See keine Frau abzubekommen? Sailor, please!

Overload, aber nicht Overkill

Spannend ist, wie schnell man sich an die Nacktheit der Performerinnen auf der Bühne gewöhnt. Trotz der körperlichen Unterschiede des diversen Casts haben alle Frauen etwas gemeinsam: Sie sind stark und fähig, die Intensität des über zwei Stunden langen Stückes aufrecht zu halten.

Eine gewisse Multitaskingfähigkeit ist bei Holzingers Stück jedoch von Vorteil. Allzu leicht kann man sich nämlich in ihren humorvollen Szenen verlieren. Dann würde man aber eventuell die lyrische Anspielung auf Musicals à la Cole Porter verpassen. Oder die Tänzerin, die im Ein-Personen-Wassertank mit Harpune posiert. Oder die Harfenistin hinten im Eck. Oder … 

Kinder und nackte Wahrheit

Was die Choreografin umso authentischer macht, ist ihr Mut, gesellschaftliche Probleme direkt anzusprechen. Sie schwingt ihren "Holz(inger)hammer", färbt das Poolwasser blutrot, bringt einen Hubschrauber zum Orgasmus, spricht von Vergewaltigung, Körperdysmorphie, Alkoholproblemen und lässt eine Gruppe von Kindern als lebendige Vertreterinnen der Letzten Generation antanzen. Für die Arbeit mit den jungen Mädchen hatte sie natürlich Expert:innen zurate gezogen, um ihnen die Themen des Stückes adäquat zu erklären, heißt es im Programmheft. Es sei eine "Herausforderung, aber auch ein großer Spaß" gewesen – für beide Seiten. 

Übrigens: Die Kinder hatten die Idee für den letzten Song des Abends. Und ohne zu viel verraten zu wollen – der fetzt richtig! “Ophelia’s Got Talent” ist ein Fiebertraum, das ist gewiss. Es mag kitschig klingen, aber schlussendlich verlässt man das Theater mit dem Gefühl, bei etwas Wichtigem dabei gewesen zu sein.

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