© Matthias Horn

Theater Wien

"Heldenplatz" zwischen Brooklyn und Wien

"Vom Heldenplatz zur Borough Hall - ein Mash Up von Thomas Bernhard und Thomas Wolfe" könnte dieser Abend heißen - und fast jeder wäre zufrieden. Denn wie Frank Castorf am Burgtheater den Bogen von Wien nach Brooklyn spannt, ist tatsächlich so "merkwürdig" wie er versprochen hatte. Mit fünf Stunden und zehn Minuten (inklusive Pause) ist er um einiges zu lang, aber das sind die meisten seine Arbeiten. Als "Heldenplatz"-Neuinszenierung enttäuscht sie jedoch nicht nur Puristen.

Keine politische "Pflichterfüllung"

Für das Burgtheater ist der ursprünglich zum "Bedenkjahr 1988" anlässlich 50 Jahre "Anschluss" Österreichs an Deutschland geschriebene Text angesichts des gegenwärtigen Wiedererstarkens von Parteien des rechten und rechtsextremen Randes so etwas wie das Stück der Stunde. Dass Castorf keine brave Pflichterfüllung eines politischen Auftrages abliefern würde, war zu erwarten. Und so lässt er fast alles aus, was sich anbieten würde, um auf die heutige Brisanz des Stückes hinzuweisen, in dem von der Familie eines jüdischen Heimkehrers am Tage seiner Beerdigung das Weiterwirken des Antisemitismus vielstimmig beklagt wird.

Natürlich ist der in der DDR aufgewachsene Regisseur Antifaschist - und deshalb hat der Abend sehr wohl eine Botschaft. Faschismus droht immer und überall, so könnte sie lauten. Dass er die Bedrohung vor allem in den USA ortet, lässt sich angesichts einer möglichen Wiederwahl des Kapitol-Sturm-Aufrufers Donald Trump gut argumentieren.

Der Abend führt bildlich wie textlich immer wieder nach Amerika, wofür neben dem Bühnenbild auch Texte des US-Autors Thomas Wolfe (1900-1938) verantwortlich sind, die Castorf ebenso ins Stück integriert hat wie Impressionen einer Reise des späteren US-Präsidenten John F. Kennedy durch Nazi-Deutschland. Ein riesiges Foto von begeisterten Massen auf einem NS-Aufmarschgelände bildet den Hintergrund, während Plakate aus dem Jahr 1939 wahre amerikanische Patrioten zu einer Massenkundgebung in den Madison Square Garden rufen.

© Matthias Horn

Geschmacklosigkeit und Magie wechseln sich ab

Doch die Texte bleiben Fremdkörper und beschäftigen sich wie die Auszüge aus "Nur die Toten kennen Brooklyn", die Franz Pätzold in bravourösen Monologen vorträgt, mitunter mehr mit den Grundthemen Trauer und Tod als mit der politischen Fehlanalyse, dass am Verlangen eines Volkes nach starker Führung nichts Schlechtes sein könne. Auch die beiden Professoren-Brüder Schuster - einer hat sich soeben umgebracht, der andere rechnet bitter mit Österreich ab - werden von Castorf keineswegs als Opfer dargestellt, sondern auch in ihren negativen Eigenschaften gezeigt. Abgesehen davon, dass sie als Figuren gar nicht in Erscheinung treten. Denn sowohl im Bühnenbild als auch in der Text- und Rollenzuteilung nimmt sich diese Inszenierung alle Freiheiten.

Bühnenbildner Aleksandar Denić hat auf die Drehbühne des Burgtheaters zwei Gerüste gestellt, die Bilder großformatiger amerikanischer Ikonen stützen: den Mafia-Boss Al Capone vor der US-Flagge und die Schauspielerin Marilyn Monroe in der berühmten Szene bei den Dreharbeiten zu "Das verflixte siebente Jahr", als sie über einem U-Bahn-Abluftschacht stand. Auf der Unterbühne des Burgtheaters ist tatsächlich eine Subwaystation installiert, nämlich die Borough Hall Station in Brooklyn - inklusive U-Bahn-Waggon, an dessen Fenstern Landschaften vorbeiziehen.

Das sind magische Momente einer Aufführung, die eine wahre Flut an Bildern und Einfällen bringt, die nicht immer schlüssig sind und mitunter auch ganz danebengehen: Dass in einem Betonbunker, aus dem per Live-Video übertragen wird, nicht nur das Abendessen des dritten Aktes stattfindet, sondern plötzlich auch Gas eingeleitet wird, ist ebenso geschmacklos wie eine Erschießungsszene. Die Kostüme von Adriana Braga Peretzki legen mitunter nahe, dass die Familie nicht vom Begräbnis, sondern von einer mondänen Ballveranstaltung kommt.

Minichmayr als Mumie

Den Vogel schießt allerdings Birgit Minichmayrs Outfit für ihren großen Robert-Monolog im zweiten Akt ab: Sie hält ihn in einem engen Mullbinden-Korsett, als wäre sie als Mumie soeben ihrem Sarkophag entstiegen. Dass diese Szene - inklusive Inge Maux und Marie-Luise Stockinger als Schwestern Anna und Olga - dennoch ausgezeichnet funktioniert, zeigt nicht nur die stupende Schauspielkunst Minichmayrs, sondern auch, dass dieser "Heldenplatz" meist dann am überzeugendsten ist, wenn auch wirklich "Heldenplatz" gespielt und gesprochen wird.

Das ist freilich nicht immer eindeutig auszumachen, denn Text wie Figuren wurden auf die sechs Schauspielerinnen und Schauspieler, zu denen neben den Genannten noch Marcel Heuperman und Branko Samarovski kommen, aufgeteilt. Sie alle sind mit ganzem Einsatz dabei, die Castorf-typischen Seitenhiebe über die Zumutungen des Regisseurs und "private" Bemerkungen untereinander inklusive.

Die Premiere wurde am Samstag kurz vor Mitternacht mit Buhs, Bravos und viel Applaus bedacht. Von der Skandal machenden Uraufführung durch Premierengast Claus Peymann am 4. November 1988 am selben Schauplatz unterschied sich der Abend wie erwartet in jeder Hinsicht. "Ich lasse etwas explodieren. Und nach der Explosion kommt der Wiederaufbau", hatte Frank Castorf, der 2021 schon Elfriede Jelinek und Peter Handke an Burg- und Akademietheater inszenierte, im Vorfeld versprochen. Der Heldenplatz war nach seinem Wiederaufbau nicht mehr wiederzuerkennen. Aber immerhin hat er nun einen U-Bahn-Anschluss.

(Wolfgang Huber-Lang/APA)

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare