© Eric Nopanen via Unspalsh

Theater Wien

Pygmalion Theater: "Werther" neu gedacht

Am 5. Juli 2023 feierte das Theaterstück "Die Leiden des jungen Werthers" unter der Regie von Geirun Tino am Pygmalion Theater Wien Premiere. Goethes Klassiker – die unerfüllte Liebe eines Mannes, der sich damit nicht abfinden kann und Suizid begeht – wurde von Tino auf eine völlig neue Weise interpretiert.

Irren und Wirren am Arbeitsplatz

Die gängige Besetzung mit Werther, Charlotte und Albert sucht man in dieser Produktion vergebens. Stattdessen macht das Publikum Bekanntschaft mit einem Redakteur (gespielt von Peter Austin-Brentnall) und seiner jungen Toningenieurin (Leonie Bielesz). Sie wollen eine Radiosendung produzieren und "Die Leiden des jungen Werthers" als Gesprächsgrundlage verwenden.

Der Redakteur ist leidenschaftlich bemüht, Teile aus Goethes Werk wiederzugeben, um sein Publikum von dem Klassiker zu begeistern. Er kommandiert seine Mitarbeiterin dafür herum und gibt ihr Signale (oder Befehle), ihm die passende Soundunterlage zu liefern. Sie kann mit dem Werk aber nichts anfangen und ist völlig desinteressiert.

Fast schon aus Sabotage spielt sie daher falsche Töne oder Popsongs wie "Satisfaction" von den Rolling Stones ab und treibt so ihren Chef zur Weißglut. Die Dialoge, die sich zwischen den beiden durch dieses Spannungsfeld ergeben – die Mitarbeiterin verlangt etwa bei einer weiteren Arbeitsanweisung nach dem "Zauberwort", woraufhin der Redakteur "Chef" statt "Bitte" erwidert – lockern die Stimmung rund um den düsteren Stoff der Vorlage auf.

Schnulze statt Ernsthaftigkeit

Dass eben die Hoffnungslosigkeit Werther zum Selbstmord bringt, blendet der Redakteur aus. Vielmehr fokussiert er sich auf die Gefühle wie Liebe und Zuneigung und pocht so auf eine schnulzige Radiosendung. Als Gast lädt er den Herausgeber des Werthers (Philipp Kaplan) ein, der den Hörer:innen Goethes Protagonisten aus heutiger Sicht erläutern soll.

Doch ehe dieser zu Worte kommen kann, hat der Redakteur bereits eine romantisierende Erklärung: "Nicht der Tod ist die Botschaft des Werthers, Werther sagt uns, dass die Liebe lebt." Selbst heute noch würden Pop-Idole über das größte Thema – die Liebe – singen. Dem widersetzt sich der Herausgeber, der sich gegen jegliche musikalische Untermalung und Verschönerung der Leidensgeschichte Werthers vehement wehrt.

Quoten, Rihanna und Goethe

Im Stück wird subtil auf die heutige Lage der Medienlandschaft eingegangen: Der Redakteur ist überzeugt, seine Hörer:innen zu kennen und ihnen eine abgeschwächte Romcom-Version des Werthers liefern zu müssen, um so im Quoten-Zeitalter mithalten zu können. "Warum glauben Sie, ist 'Sturm der Liebe' so beliebt?!", fragt er den Herausgeber, der sich ad hoc beleidigt fühlt, da es sich beim Goethe schließlich um "hohe Literatur" handelt.

Während die beiden miteinander streiten, wie sie die erste Begegnung zwischen Werther und Charlotte umsetzen sollen, spielt die Toningenieurin Rihanna ft. Eminem, "Love the way you lie". Da stellt sich die Frage: Leiden Werther und Eminem auf die gleiche Weise? Und was unterscheidet den Inhalt eines Popsongs von einem 250 Jahre alten Klassiker der Weltliteratur? Offenbar wenig, denn, so der Herausgeber: Der Mensch scheint noch immer Opfer seiner eigenen Befindlichkeiten zu sein – und darin liegen die Tiefe und Botschaft des Romans.

events.at-Fazit: Man nehme drei Schauspieler:innen unterschiedlichen Alters und lasse sie ihre Sicht auf einen Klassiker der Weltliteratur auf der Bühne interpretieren – das Ergebnis sind drei unterschiedliche Auffassungen: die romantische, die von der Popkultur geprägte und die nüchtern betrachtende Vision der Liebe.

Schauspielerisch eine großartige Leistung mitreißend und unterhaltsam – und nicht zuletzt regt die Inszenierung im Pygmalion zum Nachdenken über die menschlichen Gefühle an.

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