© Andreas J. Etter

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"Bach Variations": Dekonstruierte Klassik in der Oper Graz

Ein Abend, drei Variationen und ein schier endloser Raum für Assoziationen: So gestaltet sich die Ballettvorführung "Bach Variations", die am Donnerstag an der Grazer Oper Premiere feierte. Dabei bezieht sich die "Variable", nicht nur darauf, dass drei verschiedene Choreografien gezeigt werden, sondern auch wesentlich auf die musikalische Komponente.

Variierte Musik, variierende Bewegungen

Denn die meist ernste, andächtige, manchmal auch vor Pathos strotzende Musik von Johann Sebastian Bach wurde hier ebenso "variiert". Dies resultiert in schrägen Tönen und repetitiven Sequenzen und Klängen, die aus einem kaputten Radio stammen könnten. Zwischendurch lassen die drei zeitgenössischen Musiker aber auch den "klassischen Bach" durchklingen – was beim Publikum für kleine Überraschungsmomente sorgte.

Und wer A sagt, muss auch B sagen. Dementsprechend bewegt sich das Tänzerische natürlich auch in modernen Gefilden. Klassische Elemente spicken so den teils wilden, schnellen oder gewollt tollpatschigen Tanz. Wer sich also grundsätzlich dem klassischen Ballett verschrieben hat, muss sich auf einen Perspektivenwechsel einlassen, der durchaus erfrischend ist.

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Die Kreativen hinter den Kulissen

Die drei Choreograf:innen, welche sich der drei Segmente annehmen, sind in der internationalen Tanzszene bekannt für ihre eigenwilligen und dabei überraschenden Werke. Anne Jung, die einst als Rhythmische Sportgymnastin bei den Olympischen Spielen teilgenommen hat, inszenierte den ersten Part "Strings Attached". Der Titel spielt auf die gesellschaftliche Strömung an, in der wir alle "no strings attached", also ohne Verbindlichkeit, durchs Leben gehen. Jung geht mit ihrem Part dagegen vor, indem sie nicht nur schwarze Schnüre quer über die Bühne spannt. Auch die Tänzer:innen versuchen, eine Balance zwischen dem gegenseitigen Berühren und der Individualität zu halten.

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Von Aliens im nassen Gewand

Wem dieser Teil, trotz vieler traditioneller Ballettbewegungen, sehr modern vorkommt, sollte sich seelisch auf den zweiten Part vorbereiten. Pablo Girolami, klassischer Tänzer und Leiter einer eigenen Compagnie, siedelt "Kepler-69c" gleich in einem anderen Sonnensystem an. David Bowie-Fans fühlen sich deshalb nicht von ungefähr an "Der Mann, der vom Himmel fiel" erinnert. In dem 70er-Film spielt Bowie ein Alien, das versucht, sich an die Gegebenheiten auf der Erde anzupassen. Die teils Stakkato-artige Choreografie und die wie nasses Leinen am Körper klebenden Kostüme finden sich im Film wie auf der Bühne der Oper Graz wieder.

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Temporeicher Abschluss

Für den dritten Part "Selon Désir" müssen die Tänzer:innen noch einmal kräftig nach Luft schnappen, denn das Tempo der sich zum Teil wiederholenden Schritte ist schlichtweg eindrucksvoll. Der preisgekrönte Choreograf Andonis Foniadakis will damit laut Programmheft für einen "Wirbelsturm der Gefühle" sorgen – eine Beschreibung, der an dieser Stelle nur kräftig zugestimmt werden kann. Ihr Übriges tun die Matthäus- und Johannespassion, deren musikalischer Pathos sowieso schon alle in Habachtstellung versetzt.

Offenheit fürs Moderne als Voraussetzung

Alles in allem ist sich die Oper Graz bei "Bach Variations" treu geblieben. Denn das Haus ist für sein vielseitiges Repertoire bekannt: Hier darf das Experimentelle neben einem allseits beliebten Klassiker existieren – nur das Publikum sollte sich nicht vor Ungewöhnlichem scheuen.

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