Paul Pizzera schreibt über die Wichtigkeit von Therapie.

© Ulrike Rauch

Was ist los in Wien

Paul Pizzera: "Wenn man das Lachen nicht verliert, hat man einen Grund zu leben"

"Dieses Buch ist meinen Problemen gewidmet, damit Sie sich Ihren widmen können." Dieser Appell steht als Widmung zu Beginn in Paul Pizzeras neuem Buch "Der König der Möwen" (erschienen im Carl Ueberreuter Verlag, inklusive Hörbuch, gelesen von Pizzera und Michael Niavarani).

In seinem zweiten Roman nach "Der hippokratische Neid" begegnen wir erneut dem liebenswerten Proleten Herrn Pfingstl, der sich wieder in einer Krise befindet. Diesmal sogar ein alarmierendes Szenario: Pfingstl will sich ob eines gebrochenen Herzens das Leben nehmen. Seine Therapeutin schreitet jedoch ein und am Balkon eines Innenstadt-Hotels beginnt ein humorvoller Dialog über Selbstmord, die Bedeutung von Therapie, das Tabuthema aktive Sterbehilfe und alles, was das Leben auch in der tiefsten Krise vielleicht noch lebenswert machen kann.

Paul Pizzera im events.at-Interview

Herr Pfingstl ist lebensmüde und will sich, „voll wie a Martinigansl“, von einem Hotelbalkon in den Freitod stürzen. Das Thema des Buchs ist Suizid, sprich ein sehr ernstes. Warum wolltest du darüber schreiben?

Weil „ernst“ oder „schwierig“ oft nur andere Wörter für „wichtig“ sind. Wir haben in Österreich jährlich drei Mal so viele Tote durch Suizid als durch Verkehrsunfälle – was aber nur wenige Leute wissen. Da man hier viel Präventivarbeit leisten könnte, ist es essentiell, die Bedeutung von Psychotherapie mehr zu unterstreichen. Insbesondere Männern muss man noch die Angst davor nehmen, vermeintliche Schwäche zu zeigen, Hilfe zuzulassen und sich nicht diesem „Souveränitätsdrang“ hinzugeben.

Wahrscheinlich scheuen sich viele Menschen vor Therapie, weil sie Angst davor haben, Teil des Problems zu sein. Aber wie bei allen Dingen im Leben liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Man ist selbst nicht an allem schuld, aber ein bissl was kann man sehr wohl tun. Und genau das versuche ich mit dem Buch zu beleuchten.

Kann man an das Thema Selbstmord überhaupt humoristisch herangehen?

Ich bin ja ein Laie, der fachlich keine Ahnung hat. Und natürlich verhält sich die Therapeutin im Buch völlig falsch, was Krisenintervention angeht. Es ist einfach meine Arbeitsweise, zu versuchen, Menschen über die Räuberleiter des Humors auf Dinge aufmerksam zu machen. Für mich persönlich funktioniert es so am besten. Wenn jemand Kritik daran findet, ist das okay. Ich versuche zu vermitteln: Wenn man das Lachen nicht verliert, hat man noch einen Grund zu leben. Ich glaube, gerade Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hat, klammern sich gerne an den Strohhalm Humor.

© Foto: Ulrike Rauch / Carl Ueberreuter Verlag

Du sagst, du bist zwar ein Laie, aber hast du aus persönlichen Therapie-Erfahrungen heraus geschrieben?

Ich versuche, mit meiner XYZ-Prominenz den Menschen die Hemmung davor ein bisschen zu nehmen. Ich habe selbst lange Ausreden erfunden, warum ich denn keine Therapie machen muss: Ich hatte Angst, dass ich dann nicht mehr kreativ sein kann, dass ich vielleicht herausfinde, dass ich ein komplettes Oaschloch bin und mich nicht mehr mögen werde … Aber es schadet nix! Ich will niemanden missionieren, es gibt genügend Leute, denen es sehr gut geht, die keine Therapie brauchen. Aber den vielen anderen, die vielleicht merken, dass doch etwas passieren sollte, möchte ich die Angst davor nehmen. Mir persönlich hat es nichts als geholfen, und ich schließe nicht aus, dass ich mal wieder meinen Therapeuten anrufen und mich mit ihm 'zamsetzen werde.

Herr Pfingstl will sich aus Liebeskummer das Leben nehmen. Aber zum Glück eilt seine Therapeutin zu Hilfe, die sich zu ihm auf den Balkon setzt. Hast du das Buch bewusst wieder in Dialogform gelassen?

Ja. Zum einen, weil der Herr Niavarani zum Tausch, dass er das Buch mit mir einliest, auch gleich die Bühnenrechte dafür wollte – daher sollte es eben ein Dialog sein, damit man es spielen kann! (lacht) Außerdem hat mir damals Das Wetter vor 15 Jahren“ von Wolf Haas mit der Dialogform so getaugt. Man baut sich die Charaktere beim Lesen noch stärker im Kopf auf, weil man eben keine optische Beschreibungen im Text hat. Der eigenen Vorstellung sind so weniger Grenzen gesetzt.

Pfingstl schiebt eine derbe Stammtisch-Wuchtel nach der anderen – wer war das Vorbild für die Figur?

(lacht) Ich hoffe, dass ich nicht allzu viel gemein habe mit dem Herrn! Ich wollte einen möglichst potschert daherkommenden, aber liebenswert-antiquierten Herrn Österreicher zeichnen, der eigentlich eh das Richtige will, aber noch sehr archaisch denkt. Seine Unsicherheit und Zerrissenheit mit sich selbst sollten möglichst gut rüberkommen.

Auch das Thema Sterbehilfe, die seit Anfang 2022 in Österreich unter gewissen Bedingungen erlaubt ist, wird im Buch behandelt.

Ein guter Freund von mir hat vor einiger Zeit einen Schlaganfall erlitten und ist jetzt zwar kognitiv noch halbwegs da, aber physisch gar nicht mehr. Wenn ich ihn besucht habe, hat er immer wieder gesagt, dass er nicht mehr leben will, sich das Leben aber nicht nehmen kann. Diese Geschichte hat auch den Weg ins Buch gefunden, weil aktive Sterbehilfe eben ein Riesenthema mit einer unfassbaren Ambivalenz ist. Ich glaube, dass es aber gut ist, darüber zu reden und das Thema durch mehr Diskurs zu enttabuisieren.

Pfingstl und die Therapeutin besprechen auch die Frage, wie die Hinterbliebenen eines Selbstmörders / einer Selbstmörderin damit umgehen.

Man kann natürlich nie für alle sprechen. Ich weiß aber von Angehörigen, die einen Suizid in der Familie erlebt haben, dass es danach sehr schlimm für sie war, als sich niemand mehr bei ihnen gemeldet hat. Nach dem Motto: „Ich will ihn oder sie nicht daran erinnern, wenn ich jetzt anrufe und Beileid ausdrücke.“ Die Sache ist nur: Wissen tun sie’s eh die ganze Zeit.

Viele haben wohl Angst, in dieser schwierigen Situation etwas falsch zu machen.

Aber das Gegenteil ist meist der Fall. Es hilft, über das Erlebte zu sprechen, man soll sich bei den Hinterbliebenen melden und ihnen die Chance geben, sich mitzuteilen. Dieses „liebevolle Ghosten“, weil man sich davor fürchtet, jemanden zu verletzen, ist falsch.

Ziemlich am Ende des Buches unterhalten sich Pfingstl und seine Therapeutin über die Knappheit von Kassen-Therapieplätzen, da sich viele, selbst wenn sie Therapie machen wollen, diese schlichtweg nicht leisten können.

Es bräuchte in Österreich dringend Therapie auf E-Card. Es wird von Seiten der Politik nach wie vor argumentiert, dass das eine „Kostenexplosion“ wäre. Diese Rechnung geht aber nicht auf, denn wenn man einen Menschen bis vielleicht 80 Jahren erhalten muss, der aber nicht arbeits- oder gar lebensfähig ist, ergibt das am Ende einen Rattenschwanz, der pekuniär viel gravierender ist.

Hast du schon Ideen für das nächste Buchprojekt? Wird es ein Wiedersehen mit Herrn Pfingstl geben?

Noch nicht, aber ich hoffe doch. Es wird sicher nicht mein letztes Buch gewesen sein.

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Wer Selbstmordgedanken hat oder an Depressionen leidet, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits ein einzelnes Gespräch. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich rund um die Uhr kostenlos unter der Rufnummer 142 an die Telefonseelsorge wenden. Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt ÄrztInnen, Beratungsstellen oder Kliniken: www.suizid-praevention.gv.at

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