Der Stephansdom im Wien Museum.

© Lisa Rastl

Was ist los in Wien

Neues Wien Museum zeigt Kulturerbe der Stadt

Wenn beim Rundgang durch die neue Dauerausstellung eines umgebauten Museums das Einzige, das man zu bemängeln hat, die fehlende Jahreszahl bei einem mittelalterlichen Stadtmodell ist, haben die Kuratorinnen und Gestalter sehr viel richtig gemacht. Für das neue Wien Museum trifft das vollumfänglich zu. Ein erster Rundgang durch die neue Ausstellung, in der sich die Stadt auf drei Etagen und 3.300 Quadratmetern anhand von 1.700 Objekten präsentiert, lässt kaum Wünsche offen.

Mehre tausend Jahre Stadtgeschichte

Man betritt das Museum nun über den gläsernen Pavillonvorbau, der überaus großzügig wirkt, und gelangt durch ihn in das alte Foyer. Hier heißt es aufpassen: Dass der Rundgang durch mehre tausend Jahre Stadtgeschichte linker Hand im ehemaligen Sonderausstellungsraum beginnt, ist nicht selbst erklärend. Doch sobald man eingetaucht ist in die chronologische Erzählung, ist man gefangen und wird nicht mehr losgelassen. 

"Der Versuch war, nicht die Geschichte der Objekte sondern die Geschichte der Menschen zu zeigen", umriss Direktor Matti Bunzl das Konzept von Elke Doppler und Michaela Kronberger, das in der szenografischen Umsetzung des Berliner Büros chezweitz fast durchgängig aufgegangen ist. Natürlich wird man von der Objektfülle fast erschlagen, doch die meisten Geschichten, die über sie erzählt werden, sind interessant, erhellend und mitunter auch witzig.

Atomtests der 1950er

Es geht gleich einmal in die Tiefe: An einer Wand wird der Untergrund unter dem Wien Museum erklärt - inklusive einer radioaktiven Schicht, die offenbar ein Andenken an den Fallout von Atomtests der 1950er-Jahre darstellt. Ansonsten dominieren zunächst einmal die alten Römer, von denen etwa ein Stück einer Wasserleitung beeindruckt. An Fußbodenfliesen aus der 1421 zerstörten Synagoge auf dem Judenplatz geht es nicht nur in der Zeitskala nach oben: Hier eröffnet sich ein Durchblick ins erste Obergeschoß bzw. das alte Atrium und lockt bereits der Ausblick auf Prater-Wal, Bürgermeisterkutsche und die originalen Figuren des Donnerbrunnens. 

Zwei Räume weiter gibt es eine weitere Möglichkeit, den Blick nach oben zu wenden, diesmal mit Hilfe eines Periskops, das einen dass Innere eines Modells des Stephansdoms erkunden lässt. An originelle Umsetzungsideen herrscht hier kein Mangel - und Kinder dürfen kurz auch mal Ritter spielen: Eine Kettenhaube und ein Panzerhandschuh liegen zur Anprobe bereit.

Bildung, Arbeit oder Demokratie

Über eine Stiege gelangt man ins erste Obergeschoß und damit ins ehemalige Atrium, wo die Großobjekte als Blickfang dienen. Die dafür aufgestellte Sitzbankreihe strahlt zeitlose Eleganz aus, Displays mit elektronischen Zusatzinfos sind überall verfügbar. Zusätzlich hat das Kuratoren- und Gestalterteam im Verlauf der Schau sechs "Stadtfenster" aufgemacht, die bestimmte Themen wie Bildung, Arbeit oder Demokratie im zeitlichen Aufriss vertiefen und aus der Geschichte wieder einen Blick in die Gegenwart werfen lassen. Überhaupt fällt das Bemühen auf, Geschichte nicht nur als Sieger- oder Herrschergeschichte zu erzählen. "Geschichte von unten" ist hier kein leeres Schlagwort.

Aus der Zeit von 1700 bis 1900 finden sich nicht nur viele Porträtbilder und Beispiele für herrschaftliche Salons, sondern auch Verweise auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der breiten Bevölkerung. Es gibt die von früher bekannten und beliebten Stadtmodelle aus der Zeit vor und nach der Ringstraßenplanung, aber auch thematische Vertiefungen. Objekthighlights sind hier etwa die Hauszeichen "Zum schmeckenden Wurm" (zu finden auch in dem toll gemachten Büchlein "Mixed Doppel", in dem je 40 Objekte der Dauer- und der Onlineausstellung näher vorgestellt werden) und "Zum blauen Einhorn" oder eine rote Lederaktentasche von Fürst Metternich. In einer Nische lässt sich "Schreiben lernen" zur Zeit von Maria Theresia - nämlich in Kurrent- oder in der damals erfundenen Braille-Schrift.

Gravierende soziale Missstände

Vorbei an einem schönen Durchblick hinunter in den Eingangspavillon gelangt man durch das 19. Jahrhundert. Eine Preziose ist die hier ausgestellte Flügelmaschine, mit der Fanny Eissler einst durch das Ballett "Sylphide" flatterte. Die Realität sah für viele anders aus: 1847 gab es in Wien trotz Bettelverbots 8.430 Polizeiaufgriffe wegen Bettelns, erfährt man. Zwei Drittel der unselbstständigen Beschäftigten jener Zeit waren ohne Familie und ohne eigene Wohnung. Vor dem wieder aufgebauten "Grillparzer-Zimmer" verdeutlicht ein schmaler Streifen am Boden: Nur eine 1,4 Quadratmeter kleine, fensterlose Kammer stand dem Dienstmädchen zur Verfügung. Die gravierenden sozialen Missstände waren einer der Gründe für die Revolution von 1848, die entsprechend gewürdigt wird. Danach öffnet sich jedoch ein ungleich größerer Raum: "Große Ambition" wird der Abschnitt über die Ringstraßenzeit betitelt. Den sprichwörtlichen "Ziegelböhm'", die die großen Pläne des Stadtumbaus in die Tat umsetzten, wird hier zu Recht auch Platz eingeräumt.

 Klimt, Schiele und Schattenseiten

Hinauf ins zweite Obergeschoß: Hier empfängt der aus Leder und Perlmutt ausgeführte Prunksessel des antisemitischen Bürgermeisters Karl Lueger, der von den damit befassten Arbeitern mit versteckten Lueger-kritischen Botschaften versehen wurde. "Wien um 1900" ist natürlich mit den tollen Gemälden u.a. von Klimt und Schiele vertreten, doch immer werden nicht nur Glanz-, sondern auch Schattenseiten behandelt. Ehe es Richtung 30er-Jahre und NS-Zeit geht, lassen sich von einem Balkon aus wunderbare Blicke auf die Karlskirche werfen. Schade, denkt man, dass nicht auch das Dach des Glasfoyers als Terrasse bespielt werden kann. Für die Jahrzehnte von 1950 bis zur Gegenwart gehen dem Museum zwar nicht die Quadratmeter, dem Besucher aber die Puste aus. Die neue Dauerausstellung endet buchstäblich in der Gegenwart - bei Klimakrise und Lastenfahrrad. Ein Wiederkommen ist gewiss. Ohne Hürde. Denn der Eintritt ist frei.

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