© COMPOUND: Tony Cragg / Albertina Wien 2022 / Francesco Allegretto

Ausstellungen Wien

Wenn das Material die Form inspiriert: Tony Cragg in der Albertina

Ein bisschen ist es wie ein Spaziergang durch einen Zauberwald: Die Wiener Albertina präsentiert in der Schau "Sculpture: Body and Soul" Werke des britischen Bildhauers Tony Cragg aus den vergangenen zwei Jahrzehnten. Der Turner-Preisträger offenbart dabei nicht nur einen lustvollen Umgang mit den verschiedensten Materialien, sondern auch seinen unbändigen Drang, die althergebrachte Formensprache zu überwinden. Und das gelingt ihm auf teils einzigartige Weise.

Kunst, die Grenzen überschreitet

"Tony Cragg vorzustellen hieße Eulen nach Athen tragen", stellte Albertina-Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder bei der Presseführung am Mittwoch eingangs klar. Kaum ein Künstler habe sich so "gegen die Verarmung der Form durch die Industrialisierung" im 20. Jahrhundert gestellt wie der 1949 in Liverpool geborene und seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Cragg. Die "gewaltige Grenzüberschreitung", die die Skulptur seit dem 14. Jahrhundert durchgemacht habe, lasse sich auch an seinem Werk festmachen, das dem Manierismus gleich rundansichtig ist. Folglich auch Schröders Empfehlung an die Besucher: "Gehen Sie! Schreiten Sie herum!"

Und das ist tatsächlich notwendig, um Craggs Oeuvre in seiner Mannigfaltigkeit fassen zu können. Arbeiten wie das aus verschlungenen Bändern geformte "Dickicht" oder das scheinbar einem US-amerikanischen Canyon entsprungene "Sogleich" bieten aus jedem Blickwinkel neue Texturen und Geheimnisse, die sich offenbaren. Ist es mal die Holzmaserung, die auf den zweiten Blick in den Vordergrund tritt, sind es andernorts die Haptik von Stahl oder Bronze, die den teils mannshohen Gebilden eine ganz eigenwillige organische Anmutung verleihen. Nicht zu vergessen die "Öffnungen und Leerräume", die auch Schröder hervorhob: Sie lassen in das Innere und darüber hinaus blicken.

Zeichnungen und Skulpturen

Cragg selbst, der in seinen frühen Phasen auch stark auf vorgefundene Objekte zurückgegriffen hat, orientiert sich mittlerweile in erster Linie am jeweiligen Material. "Ich trete damit in einen Dialog und lasse mich an Orte leiten, die ich gar nicht erahnen kann", betonte er beim Rundgang. "Die Skulpturen machen sich in gewisser Weise selbst." Industriell gefertigte Gegenstände würden seit langem auf "billige Geometrie" zurückgreifen, um in die Massenproduktion gehen zu können. "Ich sagte mir: Nein, ich will dagegen arbeiten!" Folglich begegne man bei ihm nun "Formen, wie sie sich selbst entwickelt haben".

Das belegen viele der 21 Skulpturen, die von ebensovielen Zeichnungen flankiert werden: Mal wird man an von Wind geformten Sandstein erinnert, dann sind es Tropfen mit schwarzen Einschlüssen, die aus Glas gefertigt zur An- und Durchsicht laden. In einem separaten Raum bringen drei große, aus Holz bestehende Arbeiten noch mehr Farbe ins Spiel: "In Frequenzen" macht seinem Namen alle Ehre und präsentiert sich als violetter Schwingungstraum, das "Paar" besticht hingegen mit in gelb gehaltenen, zur Decke hin tänzelnden Rundungen und Kurven.

Mit dem Ausstellungstitel "Body and Soul" wolle man laut Kuratorin Antonia Hoerschelmann zwei wesentliche Aspekte hervorheben: Den Körper als Ausgangspunkt einerseits sowie die Seele oder Emotion als künstlerischer Funke andererseits. Natürlich stecke in den Arbeiten viel von Craggs Biografie, aber: "Jeder bringt sein eigenes Leben, seine eigenen Erfahrung mit. Und so sieht auch jeder etwas anderes in diesen Skulpturen." Nicht zuletzt durch die Möglichkeit, sich den Arbeiten von allen Seiten zu nähern, entstehe eine "sinnliche Überlagerung zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit". Zu sehen sind Craggs Werke von 7. Juli bis 6. November.

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