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Theater Wien

Burgtheater: Martin Kušej macht sich Sorgen um die Demokratie

Mit betont gesellschaftspolitischem Anspruch verabschiedet sich Martin Kušej in der kommenden Spielzeit als Burgtheaterdirektor. Das Spektrum des am Donnerstag präsentierten Programms reicht von Castorfs Interpretation von Bernhards "Heldenplatz" bis zu Molières "Der Menschenfeind".

Mit Mateja Koležnik, Lucia Bihler und Tina Lanik sind wieder starke weibliche Regie-Handschriften an Bord, mit Handke, Thomas Köck und Ferdinand Schmalz gibt es starke heimische Autorenstimmen.

Corona und Causa Teichtmeister

"Seit wir hier vor einem Jahr zuletzt zusammengekommen sind, hat sich sehr viel geändert in der Welt, in Österreich, in Wien und auch hier am Burgtheater", so Kušej in seinem emotionalen Eingangsstatement. "Unser Haus hat in der laufenden Saison einiges mitgemacht", bezog er sich auf die Ausläufer der Corona-Pandemie sowie auf die "für das Haus schwerwiegende Personalentscheidung und die dazugehörige Pressekampagne" rund um Kušejs Nicht-Verlängerung und der Kür von Stefan Bachmann als Nachfolger.

Auch die Vorgänge in der "sogenannten Causa Teichtmeister haben mich sehr, sehr nachdenklich gemacht. Ich habe in Abgründe geblickt, von denen ich nicht gedacht habe, dass sie möglich sind."

Sorgen um die Demokratie

So seien das Burgtheater und seine Mitarbeiter:innen zahlreichen rechten Angriffen ausgesetzt gewesen - etwa in Form von Bespucken, Schmierereien, Plakaten und Flugzetteln. "Die Identitären haben sich hier breit gemacht und versucht, die Causa politisch für sich zu instrumentalisieren." Daher habe sich das Burgtheater in der kommenden Saison einem "ganz klaren Kurs" verschrieben. "Nämlich dass wir uns große Sorgen machen um die Demokratie in diesem Staat und daher eine klare Haltung einnehmen werden", so Kušej. So zeige man sich auch im Spielzeitheft "durchaus kämpferisch und angriffslustig", etwa mit Slogans wie "Aufwachen, bevor es wieder finster wird".

Politische Willensbildung im Zentrum

Gemeinsam mit der Dramaturgie unter der Leitung von Andreas Karlaganis wurde einen Spielplan entwickelt, der eine "warnende Haltung einnimmt und unbequeme Fragen stellt, zugleich aber durchaus gut gelaunt und kämpferisch. So wenig wie wir als Theater 'die Burg' sein wollen, so wenig wollen wir als Österreich eine 'Festung' sein". Kušej selbst wird Molières "Der Menschenfeind" inszenieren.

Darin gehe es um einen "radikalen Menschenfreund, der aus der Moral predigenden Gesellschaft ausgegrenzt wird, der die Heuchelei nicht aushält". Bei der von Martin Zehetgruber verantworteten Bühne handle es sich "um einen Spiegelraum mit Wiener Prunk, glattem Parkett und darunter eine Jauchegrube" (Premiere: 17. November).

Die politische Willensbildung stehe auch in Georg Büchners "Dantons Tod" im Zentrum. Für die Regie zeichnet Johan Simons verantwortlich, der mit seinem "Woyzeck" aus dem Jahr 2019 noch gut mit seiner Büchner-Sektion in Erinnerung geblieben ist (Premiere am 16. Dezember). Bei der Betrachtung Österreichs wiederum habe sich Thomas Bernhards "Heldenplatz" aufgedrängt, den Frank Castorf 35 Jahre nach der Uraufführung durch Claus Peymann inszenieren wird. "Castorf ist der Regisseur, wo ich von der Idee begeistert bin, ihn mit Stücken zu kombinieren, bei denen es eine große Erwartungshaltung gibt", so der Burgtheaterdirektor. Seine Inszenierung werde sehr viel mit dem heutigen Blick auf Österreich zu tun haben (Premiere: 17. Februar 2024).

Impfpflicht und Rechte

Wie eine vermeintlich liberale Gesellschaft an ihre Grenzen stößt, verhandelt wiederum der amerikanische Autor Jonathan Spector in seinem 2018 entstandenen Stück "Die Nebenwirkungen", in dem er bereits die gesellschaftlichen Verwerfungen anlässlich einer Impfpflicht vorweg nahm. Jan Philipp Gloger, der Anfang der Saison in der Volksoper für die Auftaktpremiere unter der neuen Direktion von Lotte de Beer verantwortlich zeichnete, führt Regie (Premiere am 30. September). "Vor dem Hintergrund der Sprachmanipulation der Rechten" setzt man Peter Handkes 1968 aufgeführten "Kaspar" an, den US-Regisseur Daniel Kramer - zuletzt mit "Engel in Amerika" am Haus - im Akademietheater auf die Bühne bringt (Premiere am 10. November).

Der kollektiven Angst widmet sich die australische Regisseurin Adena Jacobs, die nach den "Troerinnen" nun eine feministische Deutung von "Nosferatu" nach Bram Stoker und Friedrich W. Murnau auf die Burgtheaterbühne bringt - garniert erneut mit Texten von Gerhild Steinbuch (Premiere am 19. Jänner).

Ebenfalls eine feministische Neudeutung präsentiert Nino Haratischwili mit "Phädra, in Flammen", das Tina Lanik zur Österreichischen Erstaufführung bringt (Premiere: 7. Oktober). Der Umgang mit der Natur und fluiden Geschlechterzugehörigkeiten steht im Zentrum der Inszenierung des "Sommernachtstraums", mit dem Barbara Frey die Saison am 3. September eröffnet. Als Puck kann man sich auf Birgit Minichmayr freuen.

Kušej setzt auf Klassiker

Um den Ausschluss aus Familie und Gesellschaft geht es in Kafkas "Verwandlung" in der Regie von Lucia Bihler (Premiere am 20. Jänner), Goethes "Iphigenie auf Tauris" in der Regie von Ulrich Rasche (Premiere am 23. Februar) bringt einen "großen humanistischen Weltentwurf", mit Ibsens "Peer Gynt" (Thorleifur Örn Arnarsson inszeniert im Kasino, Premiere am 15. März) setzt Kušej zum Abschluss auch auf einen bewährten Klassiker.

Er selbst verabschiedet sich am 21. März mit Tennessee Williams' "Orpheus steigt herab". Dabei handle es sich um ein "zutiefst antirassistisches Stück, das die Mechanismen des Ausschlusses von Menschen in einer amerikanischen Kleinstadt vorführt. Ich weiß noch nicht genau, ob es auch in Amerika spielen wird, es kann auch in Kärnten oder irgendwo in Österreich spielen", so Kušej. Die Komik von Tod und Sterben möchte schließlich zum Saisonabschluss Herbert Fritsch mit seinem neuen Stück "Zentralfriedhof" ergründen (Premiere am 19. April).

Die jüngere österreichische Autorengeneration findet mit den Österreichischen Erstaufführungen von Ferdinand Schmalz' "hildensaga", Thomas Köcks "solastalgia" und schließlich der Uraufführung des Gewinnertextes des Retzhofer Dramapreises Eingang ins Programm. Gleich fünf Produktionen richten sich an Kinder und Jugendliche, darunter "Abgefuckt" von Julie Maj Jakobsen im Vestibül (Regie: Tobias Jagdhuhn, Premiere: 19. November), Cornelia Funkes "Herr der Diebe" im Kasino (Regie: Rüdiger Pape, Premiere: 25. November) oder "Liebe Grüße ... oder Wohin das Leben fällt" von Theo Fransz im Vestibül (Regie: Anja Sczilinski, Premiere: 17. September).

(K)eine Uraufführungen

Dass sich diesmal außer dem Gewinnertext des Retzhofer Dramatikerpreises keine Uraufführungen im Programm finden, erklärte Dramaturg Andreas Karlaganis mit dem Umstand, dass die Stückeproduktion nach der Pandemie aufgrund der Theaterschließungen nun erst wieder anlaufe und man es für wichtig halte, jüngst entstandenen "relevanten Stücken" einen Raum zu geben statt neue zu beauftragen, was die hohe Zahl von zehn Österreichischen Erstaufführungen erkläre.

Sehr zufrieden zeigte sich Robert Beutler, kaufmännischer Geschäftsführer des Burgtheaters, über die wieder steigende Auslastung nach den Pandemie-Jahren. Bis Ende April lag man bei durchschnittlich 77 Prozent. Da es in der aktuellen Saison krankheitsbedingt allerdings rund 50 Abänderungen oder Absagen gab, schlage sich dies jedoch auf die Auslastung nieder, da sie in diesen abgeänderten Vorstellungen nur 47 Prozent betrage. Budgetär verfüge man über einen "guten Rücklagenpolster" und könne mit der öffentlichen Subvention gut arbeiten. Erhört wurden anlässlich der Inflation auch die Kartenpreise um 7 Prozent.

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