Theaterstück "Nestbeschmutzung" im Kosmos Theater.

© Bettina Frenzel

Theater Wien

"Nestbeschmutzung": Von Machtmissbrauch in der Kultur

"Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters", geloben die drei Darsteller:innen gleich zu Beginn. Es ist eine Verherrlichung der noblen Bretter, die die Welt bedeuten. Denn die Liebe zur Kunst steht schließlich über allem, ebenso die Liebe zur eigenen Theaterfamilie. 

Doch was, wenn einem diese rosarote Brille gewaltsam heruntergerissen wird? Mit einem Wutanfall des Regisseurs, der sich in Schreitiraden ergeht. Mit verbaler Erniedrigung, die so nebenbei daherkommt, dass man den Schmerz davon erst später realisiert. Mit einer unsittlichen Berührung des Intendanten, die aber natürlich keine Grenzüberschreitung ist, denn er habe damit nur "helfen" wollen, die Emotion der Szene zu vermitteln, nicht wahr?

Bei der ausverkauften Premiere von "Nestbeschmutzung" am Donnerstag im Wiener Kosmos Theater werden viele solcher Situationen beschrieben. Es geht um #metoo, um Machtmissbrauch und alltägliche Demütigungen, mit denen sich gerade junge und oftmals weibliche Mitwirkende im Theater- und Kulturwesen immer wieder konfrontiert sehen.

Der große Themenkomplex Machtmissbrauch lässt sich natürlich (und leider) in allen Arbeitsbereichen wiederfinden. Doch gerade nach den Kontroversen rund um namhafte heimische Kulturmacher kommt das Stück besonders brennend daher. 

"Gerüchte sind immer schwierig"

Die drei Darsteller:innen (mitreißendes Trio: Tamara Semzov, Birgit Stöger und Mervan Ürkmez) treffen sich in quietschbunten Blazern auf der Afterparty einer Theaterpreisverleihung, es ist das jährliche "Klassentreffen". Beim Rauchen kommt man ins Gespräch, lästert vielleicht hinter vorgehaltener Hand über die anderen. Bis aus dem Plaudern ein Hochkochen der Gerüchteküche wird, ehrliche Berichte über demütigende bis traumatische Erfahrungen enthüllt werden, die man beim Arbeiten wieder und wieder erleben musste. Beschimpfungen, verbale Entgleisungen, sexuelle Belästigung und falsche Versprechen, die in ungebetenen Avancen endeten ... die Realität hinter dem Glanz und der Gloria der Theaterwelt ist oftmals dreckig und erschütternd. 

Die neue Produktion im Kosmos Theater stammt aus der Feder des Kollektivs für Medien, Politik und Theater, bestehend aus Jennifer Weiss, Emily Richards, Anna Wielander und Felix Hafner, das bereits "Die Fellner Lesung" zur Aufführung brachten. Diesmal hat sich das Quartett ein Jahr lang mit der Systematik von Machtmissbrauch in der Kulturbranche auseinandergesetzt. Gespräche mit Betroffenen und Expert:innen wurden geführt, journalistische Quellen dazu aufgearbeitet. Recherchetheater liegt aktuell im Trend, bringt es nicht zuletzt gesellschaftspolitisch relevante Themen von öffentlichem Interesse für das Publikum auf die Bühne – siehe etwa "Aufstieg und Fall des Herrn René Benko", aktuell zu sehen im Volkstheater

"Theater ist Familie!"

In "Nestbeschmutzung" richtet sich der Blick nun auf die Kulturszene. Und es stellt sich die Frage: Was soll Person XY tun, wenn sie Opfer einer Grenzüberschreitung durch eine Autoritätsperson wie Intendanz oder Regisseur (männliche Form hier bewusst gewählt) wird? Wenn sie gegen den Vorfall ankämpfen will, von den entsprechenden Anlaufstellen aber keine richtige Hilfe kommt? Wenn ihr gar gedroht wird, nie wieder ein Engagement zu bekommen, wenn sie sich mit den Obrigkeiten anlegt? Wenn das Umfeld wegschaut, anstatt einzugreifen? Und außerdem: "Bei der Premiere hast du so super gespielt, also muss es wohl etwas gebracht haben!" Man sei im Theater schließlich wie eine große Familie, bei Problemen sei die Tür "doch immer offen". 

In schnellen Szenen- und Rollenwechseln stellen Semzov, Stöger und Ürkmez die einzelnen Situationen dar. Requisiten braucht es dazu fast keine, lediglich Vorhänge und eine Truhe auf der Bühne sind visuelle Unterstützung, dazu gut eingesetzte Partymusik, einmal auch ein Videoclip. Das Publikum wird ebenfalls involviert, als die drei Schauspieler:innen Getränke verteilen, um eine Runde "Never Have I Ever" / "Noch nie in meinem Leben" mit den Zuseher:innen zu spielen. Die einfache Regel: Wer sich in einem beschriebenen Szenario wiedererkennt, muss einen Schluck trinken.

"Noch nie in meinem Leben habe ich ... meinen Stress an anderen ausgelassen / mit den Augen gerollt, als eine Kollegin auf Überstunden hingewiesen hat / einer Assistentin nach 23.00 Uhr geschrieben und sofortige Antwort verlangt / den Namen einer Person nicht gewusst, nur weil sie hierarchisch unter mir arbeitet / meine eigenen Werte verleugnet, um weiterzukommen / eine Veränderung gebremst, um meine Position zu behalten ..." Prost und hoch die Gläser! 

Wer traut sich, das eigene Nest zu beschmutzen?

Doch wer traut sich am Ende wirklich, gegen Diskriminierung aufzubegehren, für seine Rechte einzustehen, Missstände aufzuzeigen, wenn es doch die eigene "Familie", das eigene "Nest" beschmutzt? Wohl nicht Newcomer und Menschen ganz am Anfang ihrer Karriere, die alles verlieren könnten, noch bevor überhaupt etwas anfangen konnte. Nicht jene, die sich nicht schon wieder etwas Neues aufbauen wollen, schon wieder wo neu beginnen müssten. Oder?

Nach dem gut einstündigen Stück gibt es lauten, verdienten Applaus. Man verlässt das Theater vielleicht mit dem beklemmenden Gefühl so manchen Déjà-vus. Und mit einem Ohrwurm von Vanessa Amorosis 2000er-Hit "Absolutely Everbody": "I'm no different, I am just the same. A player in the game."

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