The 1975 Nachbericht aus der Wiener Stadthalle

© Samuel Bradley

Konzerte

Jenseits von Genres und Taylor Swift: The 1975 in Wien

Spätestens seit kurzem kennt die ganze Welt Matty Healy: Nämlich als potenzieller (Ex-)Boyfriend von Popikone Taylor Swift. Davon aber abgesehen ist seine Band The 1975 seit über zehn Jahren nicht mehr aus der Popmusik wegzudenken – vielleicht als die am meisten gehasste und geliebte Band der Welt, wie "Vice" sie 2016 betitelte.

Jenseits von Genres und Erwünschtheit

The 1975 changieren zwischen Genres – zum Auftakt verlautbarte Healy in der Wiener Stadthalle großspurig, dass das Publikum jetzt die größte "Rock'n'Roll Band" unserer Zeit zu sehen bekommt. Darauf gefragt, welches Genre die Band überhaupt bedient, antwortete dieser in der Vergangenheit nämlich immer einfach nur mit "Ja". Denn so richtig in eine Schublade ließen sich die Freunde aus Großbritannien nie wirklich stecken: Pop, Rock oder doch Glam? Eines ist immerhin klar: Sie sind hochpolitisch in ihren Texten! Vor allem die neoliberale Kritik, die die Band darin übt, geht nicht spurlos an Twitter oder dem Internet vorbei. Die Figur Healy polarisiert – aber zumindest ist sein eigener Vorsatz dankenswerterweise seit kurzem (er löschte seinen Instagram-Account), dass er sich "weniger wie ein Arschloch" aufführen will.

The 1975 in der Wiener Stadthalle

Wie er sich am Dienstagabend  Wiener Stadthalle präsentiert hat, war vielleicht im Verhalten nicht immer kohärent, aber folgte ganz eindeutig einem Konzept. Musikalisch auf höchstem Niveau, präsentierte die Band ein Konzert für Liebhaber:innen. Die Show begann (pünktlich um 21:00) Backstage und zeigte dem Publikum über Leinwände, wie sich Healy auf die Bühne vorbereitet (Internet-Scrollen, Rotwein, Zigarette, nervös durch die Haare fahren), um dann locker lässig in durchgerocktem Anzug vor die Menge zu treten. Geboten wurde eklektischer Pop-Sound, der die kreischenden Fans fast in Ekstase versetzte. Der harte Kern, also das erste Drittel hinter dem Wavebreaker war dominant weiblich, was wohl die breite Fanbase der Band sehr akkurat widerspiegelt.

Abgespecktes Bühnenbild

Gleich zu Beginn richtete sich Healy in einem langen Monolog, mit Zigarette und Gitarre in der Hand (Rauchverbot in der Stadthalle? Nicht für ihn!), an das Publikum und erklärte, welche Art von Show es hier zu sehen bekommen wird. Von dem aufwändigen Bühnenbild in Hausform, das vom US-Teil der Tour bekannt war, fehlte nämlich jede Spur – das galt es zu rechtfertigen. "Ich dachte mir, in Europa brauchen wir diesen Schnickschnack nicht – wir verdienen erstmal Geld und kommen dann mit einer noch größeren Show zurück, Anfang nächstes Jahr. Glaubt mir, das wird weird," so Healy.

Gleichzeitig vermutete Healy, dass bei dem Gig, der ursprünglich im Wiener Gasometer stattfinden sollte, aber dann in die abgetrennte Halle D der Wiener Stadthalle hochverlegt wurde, nur langjährige Fans beiwohnen würden. Und damit hatte er wohl nicht unrecht – das Publikum konnte die verschachtelten Texte jederzeit locker mitsingen und feierte Songs, die über zehn Jahre alt waren. Ausgewählte aktuelle Tracks vom fünften Studioalbum "Being Funny in a Foreign Language" waren natürlich mit dabei, aber damit wollte sich die Band gar nicht zu lange aufhalten. Fan-Favourites wie "Falling For You" oder "Medicine" ließen die Menschen in der Menge ihre Augen schließen und sich erinnern, welche Personen ihr Leben im Moment berühren – Healy erklärte, er habe die Single damals für "eine Liebe" geschrieben.

Matty Healy und das Publikum

Die Performance saß perfekt: Wer die Masche Healys nicht kennt, hätte vielleicht von seinem übermäßigen Tabak- und Alkoholkonsum (direkt aus der Flasche) irritiert sein können. Doch wie er selbst zu Anfang erklärte, "Ich weiß selbst nicht, welche Version von mir ihr heute bekommt, ich habe keine verdammte Ahnung". Zwischendurch trat der Brite in Arztkittel und mit allerlei "Stage Stuff", wie Lupe, Cocktail-Shaker und Gießkanne, auf und torkelte mit Flachmann über die Bühne – ein Gebärden, das spätestens dann wieder vorbei war, als er den Mantel ablegte.

Die Fans feierten dies durchaus und hielten der Band Schilder mit Liebesbotschaften entgegen – Healy zeigte sich sichtlich berührt und bedankte sich. Er meinte aber auch, dass er alle Liebe, die er bräuchte, in seinen Bandkollegenn finden würde. Das Mitsingen war an diesem Abend ein großes Thema in der Stadthalle, vor allem, als der Herzschmerz-Song "Somebody Else" angestimmt wurde. Da pausierte nämlich der Sänger und verlautbarte, dass er überhaupt keine Lust hätte, ihn zu spielen: "Das Lied macht mich einfach fertig" – kurzerhand übernahmen die Fans das Singen.

Handypause und politische Statements

Generell war das Konzert gespickt mit politischen Ansagen, in denen Andrew Tate, Social Media, liberale Politik und Social-Media-Nutzung thematisiert wurden. Ein großer Wunsch Healys war es, dass jede:r Zuschauer:in das Handy weglegte und für einen Song einfach präsent war. Ein Fan in der ersten Reihe, der kein Englisch verstand, veranlasste Healy sogar dazu, die Bühne kurzzeitig verlassen, um ihr persönlich zu erklären, was er mit Handy-Weglegen meinte: "Sorry, du verrückte österreichische Lady, es tut mir leid."

Ein weiteres Mal begab sich Healy von der Bühne, um einen Fan zu begrüßen, der seit Jahren um die Welt reist, um The 1975 live zu sehen. Er freute sich, dass sie es nach Asien auch nach Wien geschafft hatte und nahm ihr Geschenk von japanischen Büchern dankend an – im Gegenzug erhielt sie seine Weinflasche, Cocktail-Shaker, Lupe und Kugelschreiber.

Musikalisch einwandfrei

The 1975 lieferten eine einwandfreie Show ab – nicht wenige haben sich bestimmt gewundert, wie ein kettenrauchender Sänger alle Töne so präzise treffen konnte. Außerdem wurde eine durchaus überraschende Setlist mit Juwelen wie "Love it if We Made it", "If You're Too Shy" oder auch improvisierten Tracks von den Backstreet-Boys präsentiert. Das Publikum hatte sichtlich Spaß und es würde einen nicht wundern, wenn ein Großteil der Anwesenden auch bei der nächsten Show 2024 wieder mit dabei sein wird – vielleicht dann auch mit einem spannenderen Bühnenbild. Live geht der Zauber von Enfant Terrible Matty Healy so tief unter die Haut, wie es derzeit nur die wenigsten Acts schaffen.

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