Aut of Orda: Christopher Seiler, Paul Pizzera und Daniel Fellner

© Philip Hirtenlehner

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AUT of ORDA: "Es gibt schon genug brave Musik"

Dass sie die "etwas andere Boyband aus Österreich" sind, hat die "Supergroup" AUT of ORDA (Paul Pizzera, Christopher Seiler, Daniel Fellner) bereits mit ihrer ersten Single "Wigl Wogl" Anfang 2023 bewiesen – und mit ihrem großen Live-Debüt im Rahmen der "Red Bull Show 100" erst recht. Nun ist ihr Debüt-Album "Das Empörium schlägt zurück" (VÖ 5. April, Töchtersöhne Records) am Markt.

Zudem steht die erste Tour in den Startlöchern, am 18. April geht's im Linzer Posthof los. Die Karten? Restlos ausverkauft.

Ambivalentes Album im besten Sinne

Es sind spannende Zeiten für Pizzera, Seiler und Fellner, die sich mit dem gemeinsamen Projekt per se ein komplex-paradoxes Konstrukt erschaffen haben: Obwohl alle drei "alte Hasen" im Business sind, die seit Jahren enorme Erfolge in der heimischen Musikszene feiern, stehen sie mit ihrer neuen Band erst am Anfang, müssen sich – trotz gelungenem Start sowohl in den Charts als auch auf der Bühne – als AUT of ORDA noch langfristig beweisen.

Vielleicht liegt es an diesem zweischneidigen (Damokles-)Schwert, dass ihr Album eine überaus ambivalente Platte geworden ist. Die Hälfte der Songs ist das, was man von den Jungs erwartet: endorphingeschwängerter Leichtsinn in Partylaune, die zum kollektiven Umarmen und Headbangen einlädt, irgendwo zwischen Stadion und Bierzelt angesiedelt. Die andere Hälfte der Tracklist überrascht mit ernsten, melancholischen Tönen und einer pochend-schmerzlichen Dringlichkeit, in die Seele einer gespaltenen Welt zu blicken. 

Fast scheint es so, als ob "Das Empörium schlägt zurück" die Suche nach der eigenen (Band-)Identität sowie die menschliche Ambivalenz verkörpern soll. Vielleicht haben sich die drei Buam aber auch einfach nur eine Gaudi im Tonstudio gemacht.

Allen zehn Songs gemein ist die hörbare Lust am Ausprobieren, das Gefühl eines kreativen Befreiungsschlages, sowie der Wunsch nach Ehrlichkeit und Authentizität, mit einem Hauch "F*** you"-Attitüde. Die Texte sind – man kennt es von Seiler und besonders Pizzera nicht anders – gewohnt dialektlastig, gesellschaftskritisch und mit rhetorischen Spielereien gespickt. 

Die Lust an der Provokation kann man AUT of ORDA zwar nicht abschreiben, aber dies geschieht (fast) nie allein um des Provozierens willen. Hinter jedem Song steckt immer eine Aussage, immer der Versuch, die Gesellschaft und sich selbst ein bisschen besser verstehen zu lernen. Mitunter muss man beim Hören fast an Fettes Brot denken – und natürlich an die EAV. 

Auch die anstehende Tour soll unterstreichen, dass AUT of ORDA in keine Schublade gesteckt werden wollen. Und dass ihre Band-Identität wohl vor allem aus einer Nicht-Definition besteht. (Spielerische) Revolution in allen Formen also. Das frech-mutig-intensive Bestreben einer Farce, moralische Verwundbarkeiten freizulegen. Vielleicht ist ja genau das das größte "Empörium", zu dem ein Musik-Act imstande ist. 

AUT of ORDA

© Philipp Hirtenlehner

Was soll der Albumitel "Das Empörium schlägt zurück" aussagen – abgesehen von der Star Wars-Anspielung? 

Paul Pizzera: Ich glaube, dass man eine gesellschaftliche Entwicklung beobachten kann, bei der jeder sich über irgendetwas aufregen möchte – ohne das schöne Ganzes zu sehen. Stattdessen wird eher minutiös, ja sogar chirurgisch versucht, Negatives aus einer Aussage, einer Sache extrahieren zu können. Und das ist weder für die Kunst noch für die Musik, noch für den Spaß am Leben förderlich. Genau darum geht es eigentlich: Dass wir uns gedacht haben, bitte, tut es nur und regt euch auf! Quasi ein bisschen präventive Entwaffnung. 

Wollt ihr also gegen die von vielen Menschen als übertrieben empfundene Political Correctness zurückschlagen?

Daniel Fellner: "Zurückschlagen" ist vielleicht ein bisschen zu hart. Ich glaube, dass das, was wir tun, ein Aufzeigen des Umstands und ein Spielen mit dieser übertriebenen gesellschaftlichen Empörung ist. Weil ein paar Textzeilen durchaus Empörung hervorrufen könnten.

Pizzera: Das Album ist auch eine Huldigung an die Selbstironie: "Nimm dich nicht so wichtig, kritisiere nicht alles und jeden". Wir wollen mehr aufzeigen als schlagen – nämlich auf das ständige Kritisieren, die ständige Suche nach dem "wo hat wer was falsch gemacht". Du wirst immer etwas finden, das dir nicht gefällt. Ich glaube, solche Menschen, die ständig nur schauen, wo ihnen etwas nicht passt, sind eigentlich wahnsinnig unglücklich.

Schränkt Political Correctness die Kreativität ein? Hat man im Hinterkopf ständig Angst, gecancelt zu werden?

Pizzera: Dazu fällt mir unser Song "Mi Amor" ein. Wir wollten mit der Nummer der Scheinheiligkeit des Musikmarkts den Spiegel vorhalten, weil es darf beispielsweise problemlos "Blow my whistle, baby" und "Fuck You" in Radio-Songs gesungen werden, weil es eben die englische Sprachbarriere gibt. Und wenn du "Hijo de puta" singst [spanisch für "Motherfucker"; Anm.], verstehen alle "Ich hol die Butter" und sofort gibt es Menschen, die sich darüber beschweren, dass das sexistisch sei. Aber eigentlich handelt es sich hierbei um die Beschimpfung von einem Mann, sprich: Misogynie kann es schon mal nicht sein. 

Dieses Beispiel veranschaulicht einen merkwürdigen Umstand im Musikmarkt: Fremdsprachig darfst du alles sagen, aber auf Deutsch wirst du gescholten und gleich mal gar nicht gespielt. Aber Angst, dass wir gecancelt werden, haben wir nicht.

Ihr legt es also drauf an, zu provozieren?

Fellner: Absolut, das macht ja Spaß! Vieles im AUT of ORDA-Kosmos kommt einfach aus der Richtung Spaß an der Freude. Und Spaß an der Möglichkeit, ein bisschen anders zu wirken als andere Künstler:innen. 

Pizzera: Wir alle wissen, wie Seiler und Speer und Pizzera & Jaus klingen. Bei AUT of ORDA dürfen wir ein bisschen mehr edgy sein, ein bisschen frecher, ein bisschen mehr "No fucks given!". Das ist, was den Reiz am Projekt ausmacht. 

Wollt ihr die heimische Musikszene aufmischen und vielleicht dazu anregen, sich mehr zu trauen?

Fellner: Es gibt sehr wohl Künstler:innen, die sich etwas trauen, nur finden diese in der breiten Wahrnehmung nicht statt. Es gibt halt sehr viel kalkulierte Musik, die sehr brav ist. 

Pizzera: Musik, die keinem weh tut. So eine Musik ist aber Einheitsbrei. Aber eine Wahrheit, die nicht weh tut, kann nur die falsche sein.

Fellner: Aber natürlich hat auch solch eine Musik ihre Daseinsberechtigung! 

AUT of ORDA

© Philip Hirtenlehner

Würdet ihr lieber auf FM4 als auf Ö3 gespielt werden?

Pizzera: So, wie wir gespielt und gestreamt werden, sind wir sehr froh. Es ist ja zudem auch merkwürdig und vielsagend, dass man im sogenannten musikalischen Feuilleton nicht mehr ernst- bzw. wahrgenommen wird, sobald man Erfolg hat und die Masse anspricht. Das ist im Grunde ein Selbsteingeständnis von unauthentischer Programmierung. 

Fellner: Man muss ja auch nicht unbedingt in einem vorgefertigten System funktionieren. Man kann sich selbst ein neues System schaffen.

Wollt ihr das System von innen heraus verändern?

Fellner: Das wäre sehr schön. Das wird jetzt unser neuer Leitspruch! (beide lachen)

Pizzera: Es wäre aber schon sehr anmaßend, das von sich zu behaupten ...

Nach all dem Erfolg könntet ihr es euch leisten, anmaßend zu sein. Zudem scheint euch nie jemand böse zu sein. Alle scheinen euch zu mögen.

Pizzera: Ich könnte dir ein paar Posts und Mails zeigen, die etwas Anderes sagen! (lacht) Aber auch das ist okay. Wie gesagt, es gibt eh schon genug brave Musik. Wenn du nicht mehr auf irgendeine Art polarisierst, bist du uninteressant und gehst unter. Du brauchst den Gegenschrei.

Kann Provozieren nicht schnell auch langweilig werden? Ich denke zum Beispiel an Trackshittaz: Anfangs wurden sie wegen ihrem "Anders-Sein" gelobt und waren höchst erfolgreich, aber genauso schnell ging der Erfolg auch wieder nach unten.

Fellner: Wir haben per se eine andere Basis, von der aus wir arbeiten. Wir alle kommen von anderen erfolgreichen Musikprojekten, allen voran sind Pauli und Christopher etablierte Persönlichkeiten. Seiler und Speer sowie Pizzera & Jaus aus der österreichischen Musikgeschichte zu streichen ist mittlerweile nicht mehr möglich.

AUT of ORDA

© Philip Hirtenlehner

Sprecht ihr mit AUT of ORDA ein anderes Publikum an als mit euren bisherigen Bands?

Pizzera: Allein Seiler und Speer und Pizzera & Jaus sprechen ein jeweils anderes Publikum an. Mit AUT of ORDA ist das erneut so. Die Gesamt-Range ist bei uns aber sicherlich eine kleinere. AUT of ORDA ist stilistisch vielseitiger, da muss man sich erstmal darauf einlassen. Ich glaube, das AUT of ORDA-Publikum ist zudem urbaner. Aber so genau lässt sich das noch nicht sagen, das wird sich dann mit der Tour zeigen.

Kommen wir zum Album zurück, das für mich sehr ambivalent ist: Zur Hälfte besteht es aus Gute-Laune-Songs, zur Hälfte aus ernsten Titeln ...

Pizzera: Genau das war unsere Absicht. Wir wollten das Menschsein an sich abbilden. Jeder von uns hat eine fröhliche und eine nachdenkliche Seite. Wir wollten eine schöne Cuvée erschaffen aus allem, was die menschliche Seele bewegt. Das Leben hat nun mal gute und schlechte Zeiten. Das Album soll diese Ambivalenz aus Liebe, Hass, Freude und Trauer widerspiegeln.

Fellner: Wir wollten uns künstlerisch zudem keine Grenzen setzen. Aber es stimmt schon: Genau so, wie du und Pauli beschrieben habt, geht es uns dreien und der gesamten Gesellschaft auch. Und wir sind ja Teil der Gesellschaft.

Pizzera: Das ist ja das Phänomenale an der Musik allgemein: Dass du nicht allein bist. Genau das ist der Grund, wieso wir Menschen uns in der Musik so sehr verstanden fühlen. Weil das jemand anderes schon einmal vor mir gefühlt und zu Papier gebracht hat. Genau deshalb kann Musik rettend sein, auf welche Weise auch immer.

Schreibt ihr gemeinsam die Songtexte?

Pizzera: Ja, wir arbeiten sehr basisdemokratisch. Dani als unser Produzent und Kapellmeister setzt dann aber auch mal einen Schlusspunkt und sagt: Jetzt ist es genug! (lacht)

Fellner: In so einer kreativen Umgebung muss man eben manchmal den Riegel vorschieben.

Daniel ist also der Papa der Band. Wer sind dann Paul und Christopher?

Pizzera: Bub und Onkel. Und das immer abwechselnd. (lacht laut) Wir sind eine wunderbare Patchwork-Familie.

Hat das Songschreiben etwas Kathartisches für euch?

Fellner: Ja, schon allein deshalb, weil wir wegen des Schreibprozesses über unsere Gefühle und die jeweiligen Themen miteinander reden. Im kreativen Prozess fällt das oft leichter. Schreiben kann Denkanstöße geben und Räume öffnen.

In eurem Albumtitel-Song gibt es die Textzeile "Die Hoffnung stirbt zuletzt, doch sie stirbt Stück für Stück." Das klingt ziemlich depressiv ... Muss man sich um euch Sorgen machen?

Fellner: Sieh es doch mal so: Hoffnung impliziert ja auch, dass etwas noch nicht da ist. Hoffnung kann ja auch sterben, wenn der Bestfall eingetreten ist. Die Hoffnung kann aus dem besten Grund sterben. 

Pizzera: Siehst du – wieder etwas Ambivalentes! (lacht)

Auf welche Textzeile auf dem Album seid ihr besonders stolz?

Pizzera: (überlegt lange) "Zweiter Weltkriag und am Kiatog unsa Unschuld valuan" [aus dem Song "fix ned normal"; Anm.] gefällt uns schon sehr gut. Darauf sind wir stolz. Auch "Immobilieninvestitionen / wir vermieten, wo wir nie wohnen / damit du niemals nie vergisst, dass du die Hur der Reichen bist" und "Wir feiern hart mit Wirecard im schiefen Turm von Visa" aus dem Lied "Life's a Party" taugt uns. Dieser Song wird übrigens unsere nächste Single und wahrscheinlich im Mai veröffentlicht werden. 

Fellner: Die Frage ist schwer zu beantworten. Wir lieben alle unsere Kinder! (lacht)

Welcher ist für euch der persönlichste Song am Album?

Fellner: "Nebel", eindeutig.

Pizzera: "Nebel" und "4Tog". In beiden geht's um den inneren Dämon, mit dem man immer wieder zu kämpfen hast. Das macht die Songs natürlich sehr persönlich und intensiv. Er beschreibt die Abwärtsspirale, in der man sich befindet, die man aber nicht aufhalten kann. Du kannst in diesem Moment einfach nix dagegen tun.

Fellner: (scherzt) Für Seili ist es "Mi Amor"! (beide lachen laut)

Mit dem Album geht es auch auf Tour. Wie wird sich diese von einer Pizzera & Jaus- bzw. Seiler und Speer-Tournee unterscheiden? Mehr Sex, Drugs & Rock'n'Roll?

Fellner: "Sex, Drugs & Rock'n'Roll" ist ein sehr veraltetes Musiker-Konzept und auch -Klischee. Man wird als Künstler immer wieder mit dieser Denkweise konfrontiert, aber eigentlich entwertet das die Arbeit, die man macht, ein bisschen. Eine Tour ist harte Arbeit – ich bin selbst immer wieder überrascht, wie hart! (lacht)

Pizzera: Die Vorstellung, dass man sich vor und nach einem Auftritt besäuft oder wegknallt, ist absoluter Schwachsinn. Es handelt sich dabei um eine unnötige Romantisierung der Musikbranche und des Drogenkonsums. Wenn du den Anspruch an dich selbst nicht hast, auf der Bühne verdammt noch einmal fähig zu sein, dass du alles für die Leute da unten gibst, dann bist du im falschen Beruf – oder einfach ein undankbarer Volltrottel! Weil der Friedhof ist so riesig mit Bands, die gerne da wären, wo du gerade stehst. 

Tourt ihr gerne?

Pizzera und Fellner: Ja, auf jeden Fall.

Pizzera: Mittlerweile tausche ich aber gerne Bus gegen Hotelzimmer. Bei einer Körpergröße wie meiner ist das einfach angenehmer, wenn es ums Schlafen geht.

Fellner: Bei mir ist es umgekehrt: Ich schlafe nirgends so gut wie in einem Tourbus-Bett! (lacht)

Was wird auf dieser Tour anders sein im Vergleich zu eurer "Red Bull 100"-Show?

Fellner: Wir werden natürlich einige Dinge übernehmen, die sehr gut funktioniert haben. Aber zum einen haben wir jetzt eine längere, intensivere Vorbereitungszeit, was sich natürlich in der Show zeigt. Und wir haben mehr Musiker auf der Bühne. Die Arrangements sind ein bisschen angeglichen, auch kommen neue Songs dazu. Man kann sich also beides anschauen, ohne sich danach zu ärgern! (lacht)

Pizzera: Es wird außerdem ein paar Song-Überraschungen geben. Also ein sehr bunter Abend!

Könnt ihr jetzt schon sagen, welche Songs euch live am meisten Spaß machen?

Fellner: "4Tog" taugt mir.

Pizzera: "Strom" ist sehr cool, auch "Nebel". Und "A gescheide Musik heast". Es wird aber auch Mash-Ups geben, die auf der Bühne sehr geil sind. Ich freue mich schon sehr auf diese Tour.

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